Lehre für Alle planen

Website: OpenMoodle der Universität Bielefeld
Kurs: Materialpaket barrierefreie Lehre
Buch: Lehre für Alle planen
Gedruckt von: Gast
Datum: Donnerstag, 21. November 2024, 12:31

Beschreibung

Nach unserem Verständnis ermöglicht eine „Lehre für Alle“ allen Studierenden eine umfangreiche Teilnahme an Lehrveranstaltungen. Einen möglichen Ansatz, der Lehrenden Hilfestellung bietet, dies zu erreichen, bildet das Universal Design for Learning (nachfolgend: UDL). Das Konzept ist „ein integrativer Ansatz, der die Bedarfe möglichst vieler Menschen berücksichtigt, statt individuelle Lösungen zu fordern“ (Fisseler 2015, S. 45). Es nimmt daher Zugänglichkeit auf technischer und didaktischer Ebene für alle von vornherein in den Blick.

1. Zeitliche Gestaltung der Veranstaltung

Tabellarische Übersicht zur zeitlichen Gestaltung der Veranstaltung

 

Asynchron

Synchron

Hybrid

Merkmale

  • Bereitstellung der Lernmaterialien zum Selbststudium.
  • Wenig direkte Kommunikation.
  • Zeitgleiches Lehren und Lernen.
  • Fokus auf Interaktion und Diskussion.
  • Sowohl synchrone als auch asynchrone Anteile.

Ziel

  • Vermittlung und Darstellung von Theorie.
  • Persönliche Reflexion, kollaborative Textarbeit.
  • Diskussionen,
  • Gruppenaktivitäten,
  • Studentische Produktion.
  • Kombination aus synchron und asynchron.

Beachte

Einplanung von explizitem Feedback und Gesprächen.

  • Verfügbarkeit der Materialien im Vorfeld.
  • Ermüdung, falls keine Pausen.
  • Technische Schwierigkeiten können immer auftreten.
  • Klare, transparente, frühzeitige Kommunikation der verschiedenen Phasen mit den Erwartungen der jeweiligen Phase.

Vorteile

  • Je nach Bedarf ist die Bearbeitung der Materialien möglich, weil kein/ selten ein Zeitlimit und keine festgelegten Zeitpunkte bestimmt sind und weil evtl. benötigte Hilfsmittel vorhanden sind (Screenreader, Übersetzer).

  • Viele Studierende können auf verschiedene Weise in Interaktionen einbezogen werden.
  • Erlebbare Präsenz und Nähe anderer können das Lernen unterstützen.
  • Unmittelbare Klärung von aufkommenden Fragen.

 

  • Kombination ermöglicht es, einer größeren Bandbreite an Bedarfen gerecht zu werden, da „Jede*r mal kann“.

Beispiel

Die Lehrperson stellt Literatur mit dem Auftrag für die Studierenden zur Verfügung, sich die Bildungstheorie von Humboldt anzueignen.

Nach der Erarbeitung der Bildungstheorie können die Studierenden Fragen an die Lehrperson stellen. Die Studierenden erarbeiten in Gruppen gemeinsam eine bildliche Darstellung der Theorie.

Nach der Erarbeitung der Bildungstheorie können die Studierenden synchron Fragen an die Lehrperson stellen. Dann erhalten sie die Aufgabe, in Gruppen eine bildliche Darstellung der Theorie zu erarbeiten. Dies kann asynchron ohne die Lehrperson

2. Sozialformen

Was ist eine Sozialform?

Sozialform bezeichnet die Konstellation der (Zusammen-) Arbeit von Lernenden. Die Form wirkt sich auf die Kommunikation, Aktivität und die Beziehungen in der Lerngruppe aus und hängt oft mit Veranstaltungsformat (z.B. Vorlesung, Seminar, Praktikum) zusammen. Man unterscheidet Einzel-, Partner*innen-, Gruppen- und Plenumsarbeit.

Wann wählt man welche Sozialform?
Die Entscheidung der Sozialformwahl hängt von Zielen und Inhalten der Veranstaltung ab und sollte auf folgenden Fragen basieren:
 
  • „Ist die Methode auf einen Inhalt und ein Ziel bezogen?

  • Trägt sie der individuellen Situation der Lernenden Rechnung?

  • Können Lehrperson und Lernende mit dieser Form umgehen?

  • Lässt sich die Sozialform pädagogisch-didaktisch legitimieren?

  • Ist die Sozialform unter den jeweiligen Gegebenheiten im physischen oder Online-Raum realisierbar?“
    (Gudjons et al. 1982, S. 20, zit. nach TU Darmstadt)

Warum einen Sozialformwechsel durchführen?

In einer Lehrveranstaltung sollte die Lehrperson in regelmäßigen Abständen die eingeforderte Sozialform wechseln, weil…

  • die Motivation von Studierenden unterschiedlich ist - Motivation kann, muss aber nicht durch einzelne Sozialformen gefördert werden.

  • dadurch Lern- und Beteiligungschancen gesteigert werden, da individuelle Bedarfe und verschiedene Lerntypen stärker Berücksichtigung finden, z.B. soziale Ängste.

  • ein Sozialformwechsel Interaktionspausen schaffen kann und damit die Konzentrationsfähigkeit, v.a. bei physischen oder psychischen Beeinträchtigungen steigert.

  • ein Sozialformwechsel häufig auch einen (digitalen) Medienwechseln impliziert, sodass Studierende andere Chancen der Teilnahme bekommen, wenn ihnen diese aufgrund einer technischen Barriere verwehrt bleibt.

Wie häufig ein Wechsel der Sozialform sinnvoll ist, hängt von der Lerngruppe, den Inhalten und der Lehrperson ab. Häufig trifft man in einer 90-minütigen Veranstaltung auf ca. 4-5 Phasen, die jeweils durch einen Wechsel der Sozialform eingeleitet werden.

Übersicht der Sozialformen

 

Ziel

Mögliche Zeitpunkte in der Veranstaltung

Vorteile

Nachteile

Besonders wichtig

Einzelarbeit

  • Selbstaneignung zentraler Inhalte.
  • Vertiefung vorhandener Themen.
  • Einstieg,
  • Erarbeitung,
  • Sicherung/ Abschluss.
  • Abstufung der Schwierigkeit möglich.
  • Individuelles Lerntempo und -intensität.
  • Stärkung der Selbsteinschätzung.
  • Motivation durch selbstständigen Prozess + ausprobieren (Verantwortlichkeit für eigenes Lernen).
  • Aktiviert als Zwischenstopp bei z.B. Vorträgen.
  • Unterschiedliche Arbeitstempi,
  • Über- oder Unterforderung,
  • Lehrperson kann einzelne Lernstände der Studis nicht unbedingt einschätzen.
  • Klare Arbeitsanweisungen,
  • Zielvorgaben,
  • Zusatzaufgabe als Reserve.

Partner*innen-arbeit

aktive Auseinander-setzung anregen.

Erarbeitung durch Anwendungs- oder Transferaufgaben.

  • Kommunikation,
  • Einüben der Fachsprache,
  • Aufdecken von Wissens-/Denkfehlern,
  • Motivation durch Zusammenarbeit,
  • Chance, wieder einzusteigen (wenn vorher Faden verloren),
  • Vom Wissen des/ der Anderen profitieren.
Kommunikation

 

  • Klare Erwartungen,
  • Zusammensetzung wirkt sich auf Prozess und Ergebnis aus.

Gruppenarbeit

  • Erarbeitung neuer Inhalte,
  • Vertiefung vorhandener Inhalte.
  • Erarbeitung,
  • Sicherung/ Abschluss.
  • Große inhaltliche Dichte, da verschiedene Themen parallel erarbeitet werden können.
  • Förderung von kooperativen und kommunikativen Fähigkeiten.
  • Fünf Merkmale kooperativen Lernens helfen Lehrenden, echte Gruppenaufgaben zu formulieren.
  • Wertschätzung durch Präsentation.
  • Gefahr von „Trittbrettfahrer*innen“,
  • Gefahr von „Komplott gegen die Aufgabe“,
  • Gruppenprozess oder Produkt steht im Fokus anstelle der Wissenskonstruktion,
  • Fehlender Erfolg führt zu Demotivation,
  • Das Gefühl schwächer/ schlechter zu sehen, führt zu Demotivation,
  • Späte Korrektur von z.B. Fehlern.
  • Klare Arbeitsaufträge,
  • Klare Deadlines,
  • Unterstützungs-möglichkeiten schaffen.

Plenumsarbeit (Vortrag mit hohem Redeanteil)

Darstellung neuer Wissensgebiete, v.a. aus Sicht der Lehrperson.

  • Einstieg,
  • Sicherung/ Abschluss.
  • Ermöglicht Orientierung für alle,
  • Ergebnissicherung für alle.
  • Passivität der Studierenden (ermüdend),
  • Vor allem sprachlich, teilweise bildlich.

 

 

3. Ausgewählte Lehrmethoden

In der tabellarischen Übersicht, die Sie auf dieser Seite als Datei finden, bekommen Sie einen Überblick über ausgewählte Methoden für die synchrone Lehre. Die Liste der Methoden ist nach ihrem Einsatzbereich – Einstiegsphase, Arbeitsphase, Abschlussphase – sortiert. Neben der Bezeichnung der Methode ist die Sozialform – Einzelarbeit, Partner*innenarbeit, Gruppenarbeit, Plenum – vermerkt. In der nachfolgenden Spalte finden Sie eine kurze Beschreibung der Methode, die häufig mit Informationen zu analogen, digitalen oder hybriden Varianten ergänzt werden. Daran schließen Vor- und Nachteile der jeweiligen Methode mit Fokus auf Zugänglichkeit für alle und die Umsetzung eines inclusive Classrooms an.

Grundlage für die Beurteilung der Zugänglichkeit einer Methode bildet das UDL (Universal Design for Learning). Die genannten Vor- und Nachteile beziehen sich überwiegend auf digitale Formate bzw. den Einsatz digitaler Tools. Es ist immer Voraussetzung, dass eine barrierefreie Bedienbarkeit der eingesetzten Tools und der Zugang zum Internet gegeben sind. 

Diese Übersicht ist entstanden in Anlehnung an Brinker, T. & Schumacher, E.-M. (2022). Digital, analog und hybrid befähigen. Neue Ideen für die Hochschullehre. Bern: hep. Auf diese Publikation beziehen sich auch die Seitenzahlen in Spalte 5.

Weitere Anregungen für Lehrmethoden, ohne jedoch eine Übersicht mit entsprechenden Vor- und Nachteilen, finden Sie im Internet, z.B. in der Methodensammlung der Uni Landau.

 
Abkürzungen:
S. = Seite
EA = Einzelarbeit
PA = Partner*innenarbeit
GA = Gruppenarbeit
 

4. So wähle ich meine Methode aus

Eine Schritt-für-Schritt Anleitung
  1. Fragen Sie Ihre Studierenden (anonym) nach vorhandenen Bedarfen.
  2. Machen Sie sich klar, wie groß Ihre Lerngruppe ist.
  3. Überlegen Sie sich, ob eine synchrone Sitzung sinnvoll ist. Nutzen Sie dafür gerne die in der Wissensdatenbank vorhandene Übersicht mit Vor- und Nachteilen.
  4. Überlegen Sie sich, um welche Phase einer Sitzung es sich handelt: Einstieg, Erarbeitung, Abschluss.
  5. Überlegen Sie sich, welches Ziel Sie in der ausgewählten Phase verfolgen: Erarbeitung neuer Inhalte, Vertiefung vorhandener Inhalte, Reflexion/ Weiterentwicklung von Inhalten, (kognitive/ körperliche) Aktivierung der Lerngruppe, ….
  6. Gleichen Sie nun Ihre Überlegungen mit der tabellarischen Übersicht ausgewählter Lehrmethoden ab.
Beispiel:
  1. 2 Personen können nur digital teilnehmen, 1 Person ist schwer sehbeeinträchtigt, 1 Person hat Kontaktängste, 1 Person wird nicht teilnehmen.
  2. Meine Lerngruppe besteht aus insgesamt 25 Personen.
  3. Zuvor fand eine asynchrone Phase zur Erarbeitung der Bestandteile einer tierischen Zelle und deren Aufgaben statt. Da die Studierenden in der heutigen Sitzung in den Austausch über die Recherche gehen sollen, fachliche Nachfragen stellen können und gemeinsam das Zusammenspiel grundlegender Mechanismen der Zelle visuell aufbereiten sollen, ist eine synchrone Sitzung sinnvoll.
  4. Es handelt sich um den Einstieg in die Stunde.
  5. Ziel ist die kognitive Aktivierung der Lerngruppe zur Vorbereitung auf die Erarbeitungsphase.
  6. (Wortwolke fällt raus wegen der sehbeeinträchtigen Person.) Ich entscheide mich für die Ja/Nein-Abfrage im Plenum über das Tool Kahoot!. Begründung: Person mit Kontaktängsten wird zu keinem direkten Kontakt verpflichtet, Kahoot! ist auch für die sehbeeinträchtigte Person nutzbar, die von zuhause teilnehmenden Personen können über einen Link ebenfalls an der Abfrage teilnehmen, ich frage keine personenbezogenen Daten ab.

5. So stelle ich Aufgaben für alle

Rahmenbedingungen
  • Die Aufgabe hat Relevanz im großen Ganzen: Auf welchen Kenntnissen und Lernergebnissen baut dieser auf? Wie hilft sie perspektivisch? Ist die Aufgabe authentisch? Ziel: Motivation.
  • Die Aufgabe und der Lernprozess dahinter verfolgen ein klares Ziel: Was sollen die Studierenden am Ende wissen/ können? Ziel: Prozesse der Disziplin transparent halten, Motivation.
  • Die Aufgabe folgt einer (oder mehrerer) Methode(n): Wie sollen die Studierenden vorgehen?
  • Die Aufgabe wird in einer bestimmten Sozialform bearbeitet: Mit wie vielen Personen sollen die Studierenden arbeiten?
  • Die Aufgabe ist zeitlich klar begrenzt: Welche Arbeitsschritte sollen in welchem Zeitrahmen erfolgen?
  • Die Aufgabe lässt verschiedene Arbeits- und Hilfsmittel zu: Welche? Wo sind diese zu finden?
  • Die Aufgabe gibt die Form(en) der Dokumentation und evtl. Präsentation an: Wann und wo erfolgt die Dokumentation?
  • Die Aufgabe stellt dar, wie Ergebnisse diskutiert und reflektiert werden: In welcher Form erfolgt Feedback? 
  • Die Aufgabe enthält (bei Bedarf) klare Bewertungskriterien: Welche Ergebnisse werden wie bewertet?
Formulierung
  • Die Aufgabe nutzt klare, definierte Operatoren. Z.B. "Nennen Sie", "Beschreiben Sie", "Analysieren Sie", "Begründen Sie", "Vergleichen Sie", "Bewerten Sie", "Gestalten Sie"…
  • Die Aufgabe enthält keine unnötig komplizierten bildungs- und fremdsprachlichen Wörter und verwirrende Synonyme. Die Aufgabe ist wohldurchdacht und präzise formuliert. Z.B. "Stellen Sie grafisch dar, wie sich die drei Rollen gegenseitig beeinflussen.“ anstatt „Stellen Sie die Interdependenz der drei Rollen grafisch dar.“
  • Die Aufgabe hat eine einfache Syntax und eine klare Struktur.
  • Die Aufgabe ist dennoch inhaltlich anspruchsvoll und angemessen fachlich.
  • Vielschichtige Aufgaben sind in mehrere, kleine Aufgaben unterteilt.
  • Komplexe Aufgaben enthalten detaillierte Schritte.
Inhalt
  • Die Aufgabe ist herausfordernd und komplex.
  • Die Aufgabe ermöglicht einen Lernzuwachs.
  • Die Aufgabe fordert Strategien ein.
  • Die Aufgabe bietet Zugang für Alle. 
Zugang für alle schaffen

Die Aufgabe berücksichtigt verschiedene Interessen, Lerntypen /-stile, indem sie bei vergleichbarem Niveau

  • unterschiedliche Inhalte/ Themen anbietet.
  • unterschiedliche Zugangsweisen, z.B. in der Sozialform oder der Ergebnispräsentation, zulässt. 
  • den sozialen Hintergrund, kulturellen Hintergrund, Gender-Aspekte berücksichtigt.
  • den Einsatz von verschiedenen (digitalen) Medien und Tools zulässt.
  • unterschiedliche Formen des Produktes/ des Ergebnisses zulässt, z.B. Mindmap, Concept-Map, Tabelle, (Fluss-)Diagramm, Verlaufsplan, Szenisches Spiel, Standbild, Email, Blog-, Chat-, Facebook-Eintrag u.v.m.
  • zeitliche Flexibilität zulässt.
Beispielaufgabe

6. Beispielhafter Ablauf einer digitalisierten Präsenzsitzung mitten im Semester

Einstiegsphase

  • Begrüßung + Vorstellung des Ablaufs der Sitzung.
  • Warm Up als Einstieg: Vorbereitete Abfrage mit Mentimeter im Plenum, ca. 5 Fragen, die bereits inhaltlich einsteigen (z.B. um Vorwissen abzufragen oder Wissen aus der letzten Sitzung zu aktivieren). 
Arbeitsphase
  • Hinführung durch kurze Rahmung der Lehrperson.
  • Konkreten Arbeitsauftrag zur Erarbeitung eines neuen Themas mithilfe der Think-Pair-Share Methode, wobei die Tandems bzw. Gruppen mit einem EduPad arbeiten können.  
Abschlussphase
  • Präsentation der Arbeitsergebnisse im Plenum. Die verwendeten EduPads können dabei als Stütze und Protokoll dienen.
  • Reflexion des Arbeitsstandes mit vorbereiteten Fragen auf Edkimo in EA.
Ausblick

Ausblick + Verabschiedung

7. Literatur barrierefreie Lehre