Anreizsysteme

Website: OpenMoodle der Universität Bielefeld
Kurs: Barrierefreiheit gestalten: Handlungsempfehlungen und Beispiele aus der Hochschulpraxis
Buch: Anreizsysteme
Gedruckt von: Gast
Datum: Samstag, 15. März 2025, 05:50

Beschreibung

Anreizsysteme, auch "Incentives" genannt, können dazu beitragen, die verschiedenen Akteursgruppen an der Hochschule zu motivieren, auf dem Weg zu einer barrierefreien Hochschule teilzuhaben.

1. Allgemeines

In einer Hochschule sind verschiedenste Themen parallel relevant und von Hochschul-Angehörigen zu beachten, wodurch diese mit einer Vielzahl von Aufgaben und Themen konfrontiert sind. Um mehr Aufmerksamkeit auf die digitale Barrierefreiheit zu lenken, können Anreizsysteme ein gutes Mittel sein. Denn mithilfe von Anreizsystemen können verschiedene Zielgruppen zu einer Veränderung des eigenen Handelns motiviert und dafür belohnt werden. Anreize sollten dabei strategisch sinnvoll gewählt werden, um nachhaltige Veränderungen zu bewirken.

Durch spezifische Anreizsysteme können alle Statusgruppen der Hochschule motiviert werden. Das gilt sowohl für Lehrende, um beispielsweise ihre Lehre barrierefrei zu gestalten, als auch für Mitarbeitende in der Verwaltung, um Prozesse diversitätssensibel zu erarbeiten oder Dokumente barrierefrei zu erstellen. Auch Studierende können durch Anreizsysteme motiviert werden, Projekte zum Thema Barrierefreiheit zu entwickeln und so innovative Ideen voranzutreiben.

2. Vorgehen bei der Entwicklung von Anreizsystemen

Der Auswahlprozess eines Anreizsystems sollte sich immer an der Strategie orientieren, mit der das Thema bzw. die Veränderung umgesetzt werden soll. Deshalb muss die Gesamtstrategie bereits vorab geklärt sein. Mehr zum Thema Strategie finden Sie in dem Buch Strategie. Darüber hinaus wird bei der Gestaltung von Anreizsystemen eine klare Analyse der strategischen, strukturellen und kulturellen Einflussfaktoren vorausgesetzt. Anschließend können die Elemente eines umfassenden Anreizsystems definiert werden, die die Anforderungen der verschiedenen Hochschulakteur*innen und -funktionen berücksichtigen und die Leistungen sowie Messgrößen im Anreizsystem festlegen.

Zur Entwicklung eines Anreizsystems, das nachhaltige Veränderungen im Bereich Barrierefreiheit bewirken kann, müssen verschiedene Kriterien festgelegt werden:

  • Ziel: Was soll erreicht werden?
  • Zielgruppe: Wer soll motiviert werden?
  • Messgröße: Welche Metriken sollen zur Messung des Ziels verwendet werden?
  • Anreiz: Was bekommt man dafür, das Ziel zu erreichen?
  • Methode: Wie wird das Anreizsystem umgesetzt?

2.1. Ziel und Zielgruppe definieren

Ziel definieren
Was soll erreicht werden?

Um ein passendes Anreizsystem zu entwickeln, muss zunächst das konkrete Ziel festgelegt werden, das durch das Anreizsystem erreicht werden soll. Grundsätzlich geht es bei der Verankerung von digitaler Barrierefreiheit an der Hochschule meist darum, das Verhalten der Hochschulakteur*innen zu beeinflussen (Steuerungs- oder Veränderungsfunktion). Das Ziel sollte möglichst konkret definiert werden. So könnte ein Ziel beispielsweise eine barrierefreie Lehre oder der regelmäßige Besuch von Fortbildungen zur digitalen Barrierefreiheit sein.

Beispielhafte Ziele: 

  • Entwicklung/Umsetzung der Diversity-Strategie
  • Kompetenzen im Bereich der digitalen Barrierefreiheit der Mitarbeitenden ausbauen
  • Initiierung von Projekten/Maßnahmen für mehr Inklusion/Barrierefreiheit
  • Berücksichtigung/Umsetzung digitaler Barrierefreiheit in der Lehre & Forschung
  • Verankerung von familien- und lebensphasenbewussten Führungsstrategien
  • Systematische Implementation diversitätssensibler Lehre
  • Initiierung von inklusionsbezogenen Aktivitäten an der Hochschule

Icon für Handlungsempfehlungen Legen Sie möglichst konkret fest, welches Ziel (Verhalten oder Ergebnis) durch das Anreizsystem erreicht werden soll.


Zielgruppe definieren 
Wer soll motiviert werden?

Zusätzlich zum Ziel des Anreizsystems ist festzulegen, wer im Hinblick auf das Ziel motiviert werden soll, wer also die Zielgruppe ist. Das können verschiedenste Akteur*innen in der Hochschule sein.

Mögliche Zielgruppen:

  • Führungspersonen
  • Lehrende
  • Mitarbeitende
  • Forschung
  • Verwaltung
  • Fachbereiche
  • Gremien
  • Studierende
  • Hochschulleitung

Icon für Handlungsempfehlungen Legen Sie fest, welche Akteur*innen durch das Anreizsystem motiviert werden sollen.

2.2. Passende Messgröße definieren

Welche Metriken sollen zur Messung des Ziels verwendet werden?

Nach Festlegung des Ziels und der Zielgruppe kann entschieden werden, welche Metriken zur Messung des Ziels verwendet werden sollen, also welche Messgrößen als Erfolgskriterien dienen. Hierfür ist es sinnvoll, zunächst verschiedene mögliche Messgrößen zu sammeln, die in Zusammenhang mit dem Ziel stehen. Die gesammelten Messgrößen können anschließend anhand der Kriterien Objektivität, Umfang und Beeinflussbarkeit, wie im Schaubild dargestellt, analysiert werden, um die optimalen Messgrößen zu bestimmen.

Grafik des Weges zu der idealen Messgröße.

(Grafik: Messgröße definieren3

Im Idealfall, aber in der Praxis oft nicht vorhanden, werden Messgrößen definiert, die möglichst objektiv, umfassend und durch die entsprechenden Mitarbeitenden beeinflussbar sind. Sind die Messgrößen nicht oder nur in einem kleinen Umfang beeinflussbar, so kann dies zu Motivationsproblemen führen und dysfunktionales Verhalten fördern. Als Messgröße empfehlen sich quantitative Größen, die sinnvoll messbar sind und sich für einen Vergleich eignen.1

Beispiele für mögliche Messgrößen im Bereich digitaler Barrierefreiheit für das Ziel, die Lehre digital barrierefreier zu gestalten:

  • Ergebnisse aus Lehrevaluationen mit Kriterien zur digitalen Barrierefreiheit
  • Anzahl barrierefreiheitsbezogener Themen, die in der Lehre behandelt werden
  • Grad der Barrierefreiheit von Lehr-/Lern-Materialien
  • Häufigkeit und Umfang von barrierefreien Interaktionsmöglichkeiten in Lehrveranstaltungen

Icon für Handlungsempfehlungen Sammeln Sie mögliche Messgrößen, die als Erfolgskriterien dienen könnten.

Icon für Handlungsempfehlungen Analysieren Sie die Messgrößen anhand der Kriterien Objektivität, Umfang und Beeinflussbarkeit.

Icon für Handlungsempfehlungen  Wählen Sie eine oder mehrere möglichst objektive und quantitative Messgrößen aus.

2.3. Anreiz auswählen

Was bekommt man dafür, wenn das Ziel erreicht ist

Sind Ziele, Zielgruppe und Messung der Zielerreichung festgelegt, wird als nächstes analysiert, mit welchem Anreiz die Zielgruppe motiviert werden kann. Dafür gilt es, die Frage zu klären: Welche Anreize sind für meine Zielgruppe sinnvoll? Hierfür sollten Gespräche mit Personen der Zielgruppe geführt werden, um zu ermitteln, was für sie wichtig ist.

Grundsätzlich sind zwei Arten von Anreizen zu unterscheiden: materielle und immaterielle Anreize. Die Anreize wiederum haben eine extrinsische (äußere Belohnung materieller oder immaterieller Art) oder intrinsische Motivationsfunktion (aus eigenem Willen angestrebt). Letztere spiegeln sich beispielsweise in persönlichen Erfolgserlebnissen wieder. 

Beispiele für materielle Anreize:

  • Prämien (Sach-/Geldprämien, Gutscheine)
  • Zielgerichtete Förderungen/Fonds
  • Leistungsorientierte Mittelvergabe
  • Leistungszulagen für besondere Leistungen in Forschung, Lehre, …

Beispiele für immaterielle Anreize:

  • symbolischer Preis
  • Beratung/Fortbildungsmaßnahmen
  • Als Best-Practice-Beispiele geführt/beworben und verbreitet werden
  • Urkunde
  • Zertifikat für Person
  • Zertifikat/Siegel für Produkt, Dienstleistung oder Räumlichkeit
  • Auszeichnungen
  • Öffentlichkeitswirksame Belobigungen
  • Bekanntheitsgrad steigern
  • Deputatsreduktion
  • Forschungsfreisemester
  • Bundesweite Öffentlichkeitsarbeit (wissenschaftlicher Leistungen)
  • Zusammenhalt/Austausch durch die Beteiligung an Netzwerkarbeit
  • (Team-)Events
  • Exklusivität als Anreiz (z.B., dass man sich auf Kurse bewerben muss)
  • Symbolische Sanktionen (z.B., Tag „nicht barrierefrei“)

Icon für Zitat Es gibt ja zum Beispiel dieses Lehrzertifikat bei uns [an der Universität], wenn da die digitale Barrierefreiheit oder barrierefreie Lehre Bestandteil von so einem Zertifikat wäre, denke ich schon, dass das vielleicht noch interessanter für Lehrende sein könnte [ihre Lehre barrierefrei zu gestalten].1

Einige Anreize, wie Zertifikate oder Auszeichnungen, sind direkt sichtbar. Generell gelten weniger sichtbare Maßnahmen, die im Rahmen von Mitarbeitendenführung und Zusammenarbeit Anwendung finden, als ebenso bedeutsam. So sind zum Beispiel Anerkennung, Lob und ehrliche Wertschätzung Maßnahmen, die die Motivation der Zielgruppe ebenfalls steigern können.

Icon für Handlungsempfehlungen Sprechen Sie mit der Zielgruppe und ermitteln Sie, was ihnen wichtig ist.

Icon für Handlungsempfehlungen Wählen Sie einen Anreiz aus, der die Zielgruppe motiviert.

2.4. Methode definieren

Wie wird das Anreizsystem umgesetzt?

Zuletzt legen Sie fest, mit welcher Methode das Anreizsystem umgesetzt und wie die Zielgruppe und deren Leistungen bewertet werden soll.

Beispiele für Methoden:

  • Preis-Vergabe durch Gremien/Kommissionen
  • Wettbewerb (z.B. Ideenwettbewerb oder Leistungswettbewerb)
  • Erfolgscontrolling, Performance-Analysen
  • Studentische Lehrveranstaltungsbewertungen/externe Bewertung
  • Prüfung durch zertifizierte Stelle
  • Punkte-Programm/Bonussystem

3. Thema Barrierefreiheit in vorhandene Anreizsysteme einbinden

Wenn es an einer Hochschule bereits gut funktionierende und etablierte Anreizsysteme gibt, kann es auch eine Möglichkeit sein, das Thema Barrierefreiheit in diese beispielsweise als Messgröße zu integrieren. So muss nicht ein völlig neues System aufgebaut, finanziert und kommuniziert werden. Stattdessen können die vorhandenen Strukturen genutzt und erweitert werden. So gibt es beispielsweise an vielen Hochschulen Lehrpreise, die um die Messgröße Barrierefreiheit erweitert oder durch einen Barrierefreiheits-Lehrpreis ergänzt werden könnten. Aber auch Bonuspunktesysteme und Leistungszulagen, die an vielen Hochschulen für Professor*innen zur Verfügung stehen, können durch einen Bereich zur Umsetzung digitaler Barrierefreiheit in der Lehre oder Kompetenzaufbau in diesem Bereich ergänzt werden.

Icon für BeispieleGood Practice:

  • Die Hochschule der Medien Stuttgart bietet jährlich ein Programm für Lehrende an, das sogenannte Fellowship, mit dem Lehrende ihre Lehrveranstaltungen überarbeiten können. Die Lehrenden können sich auf das Programm bewerben, es werden bis zu 4 Fellowships im Jahr vergeben. Als Anreiz bekommen die Gewinner*innen 2 SWS Deputatsnachlass für ein Semester, eine finanzielle Förderung von 2000€ sowie kollegialen Austausch und Beratung mit den anderen Fellows sowie der hochschuldidaktischen Beratung der Hochschule der Medien. Die Ausschreibung für 2024 enthält weitere Details zu dem Programm. Dieses könnte in einem Jahr beispielsweise auch das Thema Barrierefreiheit der Lehre bearbeiten.
  • An der Hochschule der Medien Stuttgart wird als Anreiz für beispielsweise die Einholung von Drittmitteln oder für die Veröffentlichung von Publikationen mit einem Bonuspunktsystem gearbeitet. Immer im Folgejahr wird so für Hochschulangehörige, die einige der Ziele erreicht haben, ein Bonusbudget ausgegeben, das sie zur freien Verwendung im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben für Ausgaben an Hochschulen nutzen können. Auch dieses Bonuspunktesystem könnte durch eine Kategorie zur Umsetzung von Barrierefreiheit erweitert werden.

4. Gute Beispiele aus der Praxis

Lehrpreise

Die TU Dresden vergibt jedes Jahr Preise für diversitätssensible Lehre an ihre Hochschul-Angehörigen. Ziel des Lehrpreises ist es, Lehrpersonen und / oder Lehrkonzepte zu würdigen, die sich mit Diversität bzw. einer oder mehreren Diversitätsdimensionen (z. B. Geschlecht, Inklusion, Herkunft, Familienaufgaben …) im Sinne der Diversity Strategie 2030 der TU Dresden beschäftigen. Nachdem die Hochschul-Angehörigen Vorschläge einreichen können, wählt eine Auswahlkommission die Preisträger*innen nach vorhandenen Vergabekriterien aus. Als Anreiz erhalten die Preisträger*innen insgesamt 10.000 Euro Preisgeld, gefördert im Rahmen der Exzellenzstrategie von Bund und Ländern.

Im Jahre 2019 stellte die TU Dresden zudem erstmalig einen Preis für inklusive Lehre aus. Ziel des Preises für inklusive Lehre ist es, Lehrpersonen und Lehrkonzepte zu würdigen, die sich proaktiv mit dem Thema diversitätsgerechter, inklusiver Lehre beschäftigen und dieses Wissen in ihren Veranstaltungen anwenden. Dazu gehören beispielsweise Barrierefreiheit sowie die Einbindung von Themen der Inklusion von Menschen mit Behinderungen und weiterer Vielfaltsaspekte. Hierfür konnten ebenfalls alle Hochschul-Angehörigen Vorschläge einreichen. Der Beirat Inklusion der TU Dresden wählte anschließend die Preisträger*innen aus. Insgesamt standen 8.000 Euro Preisgeld, finanziert aus den Sondermitteln für Inklusion des Sächsischen Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst, zur Verfügung. Durch die zugehörige Preisverleihung konnte zusätzlich das Ansehen gesteigert werden.

Diversity-Preis

Um bestehende Aktivitäten im Bereich Diversity noch sichtbarer zu machen und neue Projekte anzuregen, loben einige Hochschulen einen Diversity Preis aus. An der Universität Bamberg wird der Diversity-Preis durch das Unternehmen Ofa Bamberg GmbH gestiftet und ist mit 1000 Euro dotiert. Der Diversity-Preis wird stets im Frühjahr ausgelobt, richtet sich an außerordentlich engagierte Mitglieder der Universität Bamberg aller Statusgruppen und kann je nach Antragslage an eine Person vergeben oder auf mehrere aufgeteilt werden. Der Diversity-Preis zeichnet exzellente Leistungen in Forschung, Lehre und universitärem Leben aus, die sich mit der diversen gesellschaftlichen Wirklichkeit und damit verbundenen Fragen informiert und innovativ auseinandersetzen und so zu einer weltoffenen, diskriminierungsfreieren Hochschule und Gesellschaft beitragen. Die Auswahl trifft eine Jury aus Vertreter*innen der Studierenden, des Mittelbaus, der Professor*innen und des wissenschaftsstützenden Bereichs der Universität Bamberg. Auch die Hochschule Bremen vergibt einen Bremer Diversity Preis. Dieser wird von einer Gemeinschaft Bremer Unternehmen und Institutionen getragen, die für die Nutzung von Vielfalt eintreten und den Preis konzeptionell wie finanziell verantworten. Die Trägergemeinschaft trifft sich zweimal jährlich und wird zudem aus aktuellen Anlässen einberufen. Gemeinsam fassen die Träger Beschlüsse über Vorgehensweisen, Strategien und Aktivitäten im Rahmen des Diversity Preises und der Diversity Tafel.

Seit 2019 wird auch an Heinrich Heine Universität Düsseldorf der HHU Diversity-Preis jährlich an Mitglieder und Angehörige der HHU verliehen, die sich in besonderem Maße für das Thema Diversity engagieren und den Grundsatz der HHU, „Exzellenz durch Vielfalt“ mit Leben füllen.

Best-Practice-Wettbewerb

Um Vielfalt der Lebenslagen an der TU Dresden für alle sicht- und auch erlebbar zu machen, wurde im Jahr 2015 ein universitätsweiter Best-Practice-Wettbewerb ausgeschrieben, um besonders vorbildhafte Initiativen im Bereich der Förderung von Menschen mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen zu würdigen und andere zur Nachahmung anzuregen. Im Rahmen des Best-Practice-Wettbewerbs konnten sich Beschäftigte sowie Studierende der TU Dresden um den Preis für vorbildhafte Aktivitäten und Maßnahmen zur Förderung von Menschen mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen bewerben. Dafür stellte die Gesellschaft von Freunden und Förderern der TU Dresden e. V. ein Preisgeld von 500 € zur Verfügung. Eine Jury, die aus den Mitgliedern des Beirats Inklusion der TU Dresden bestand, wählte den Sieger aus.