Beschaffung
Website: | OpenMoodle der Universität Bielefeld |
Kurs: | Digitale Barrierefreiheit an Hochschulen |
Buch: | Beschaffung |
Gedruckt von: | Gast |
Datum: | Donnerstag, 21. November 2024, 13:09 |
Beschreibung
Um die Barrierefreiheit von Anfang an und nachhaltig zu gewährleisten, muss diese im Vergabe-/ und Beschaffungsalltag der Hochschule ein zentrales Kriterium sein.
1. Allgemeines
Die Beschaffung von Produkten oder Beauftragung einer Dienstleistung für die Hochschule, seien es digitale oder auch analoge Technologien, hat einen großen Einfluss auf die Barrierefreiheit der gesamten Hochschule. Die Anschaffungen müssen anschließend von allen Hochschul-Angehörigen verwendet werden können. Deshalb ist es wichtig, bereits bei der Entscheidung zur Beschaffung eines neuen Produktes oder der Beauftragung einer Dienstleistung die Barrierefreiheit zu bedenken. So können Anforderungen an die Barrierefreiheit der Produkte und Dienstleistungen bereits in Ausschreibungen genannt, bei der Recherche beachtet und in der Leistungsabnahme geprüft werden.
Weitere und noch etwas spezifischere Informationen zum Beschaffungs- und Vergabeprozess finden Sie in der Handreichung der Bundesüberwachungsstelle.
2. Rechtliche Grundlagen
Die Behindertengleichstellungsgesetze (BGG), die auf Bundes- und Landesebene die Gleichstellung von Menschen mit Beeinträchtigungen im Bereich des öffentlichen Rechts regeln, sowie die Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV 2.0), die das BGG auf Bundesebene ergänzt, sind relevant im Hinblick auf barrierefreie Informationstechnik. Daraus ergibt sich die Verpflichtung für Hochschulen, dass alle im Einsatz befindlichen digitalen Systeme (Internet, Intranet, Extranet, mobile Apps, Dokumentenbearbeitung u.v.m.) barrierefrei sein müssen bzw. barrierefreie Erzeugnisse (z.B. Dokumente) produzieren müssen. Das gilt für alle Bereiche der Hochschule, also für Lehre, Verwaltung und Kommunikation nach innen und außen.
Die Vergabegesetze verpflichten öffentliche Stellen zur Beachtung von Barrierefreiheit. Für Beschaffungen mit einem geschätzten Auftragswert oberhalb der EU-Schwellenwerte ergibt sich diese Verpflichtung aus § 121 Absatz 2 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB). Für Beschaffungen unterhalb des EU-Schwellenwertes und ab einem geschätzten Auftragswert für Liefer- und Dienstleistungsaufträge von netto 40.000,00€ ergibt sich diese Verpflichtung aus § 23 Absatz 4 Unterschwellenvergabeordnung (UVgO) und den jeweiligen Landesgesetzen. Nach diesen beiden Paragrafen sind „(b)ei der Beschaffung von Leistungen, die zur Nutzung durch natürliche Personen vorgesehen sind, (...) bei der Erstellung der Leistungsbeschreibung außer in ordnungsgemäß begründeten Fällen die Zugänglichkeitskriterien für Menschen mit Behinderungen oder die Konzeption für alle Nutzer zu berücksichtigen.“
Darüber hinaus sind Arbeitgebende nach dem Neunten Buch des Sozialgesetzbuchs (§ 164 SGB IX) verpflichtet, passende Arbeitsplätze bereitzustellen.
3. Ausschreibung
Barrierefreiheit muss als verbindliches Kriterium in allen Ausschreibungen und im Leistungsprozess verankert werden. Achten Sie sorgfältig darauf, dass in der Leistungsbeschreibung alle erforderlichen Anforderungen an die Barrierefreiheit aufgeführt und ggf. detailliert beschrieben werden.
Die interne Vergabestelle der Hochschule sollte eng mit dem zuständigen Kompetenzzentrum für digitale Barrierefreiheit zusammenarbeiten. Verfügt die Hochschule oder das Land über keine solche Kompetenzstelle, muss die Vergabestelle Kenntnisse zum Thema digitale Barrierefreiheit aufbauen.
Es ist sinnvoll, jemanden [Kompetenzstelle oder andere Anlaufstelle] direkt von Anfang an einzubinden, der sich [mit digitaler Barrierefreiheit] auskennt und dazu Stellung nehmen kann.1
Die Leistungsbeschreibung sollte enthalten:
- Eine Auflistung der Leistungsmerkmale
- Allgemeinen Anforderungen in Bezug auf Gesetze, Richtlinien und Normen
- Maßnahmenspezifische Anforderungen
- Die geforderten Nachweise zur Barrierefreiheit durch die Unternehmen
- Einen Passus zur Erfüllung der Anforderungen über die gesamte Vertragslaufzeit, inklusive beispielsweise Updates
Um die gesamte Hochschule bei der Erstellung von Ausschreibungen zu unterstützen, kann es sinnvoll sein, einen Vergabebaustein für die Hochschule zu erstellen. Dieser sollte empfohlene Standardformulierungen sowie eine Auflistung der Mindestbestandteile von Leistungsmerkmalen enthalten und die Verantwortlichen dabei unterstützt, Ausschreibungsunterlagen zu erstellen.
Beispiele für Vergabebausteine:
- Der Vergabebaustein Barrierefreiheit Hessen (PDF-Download) unterstützt Maßnahmenverantwortliche dabei, die Anforderungen an die Barrierefreiheit in Vergabeunterlagen für IKT-Systeme gemäß den Richtlinien der Europäischen Kommission festzuhalten und zu bewerten.
- Der Vergabebaustein des Bundes (PDF-Download) integriert die Anforderungen an die Barrierefreiheit von IKT-Systemen in Vergabeunterlagen gemäß den Standards der Dienstekonsolidierung und bewertet sowohl die Einhaltung in der Leistungsbeschreibung als auch die Berücksichtigung in der Leistungsbewertung durch die Bieter.
Die Vergabestelle muss wissen, wie der Ausschreibungstext aussehen muss und die Abnahme erfolgen kann, um Barrierefreiheit sicherzustellen. Eine Vernetzung mit anderen Hochschulen sollte angestrebt werden, um Erfahrungen auszutauschen.
Nehmen Sie in der Leistungsbeschreibung alle Anforderungen an die Barrierefreiheit auf.
Entwickeln Sie einen Vergabebaustein für die gesamte Hochschule.
4. Recherche
Bei kleineren wie auch größeren Vergaben ist es wichtig, auch die Firmen zu recherchieren, die das gewünschte Produkt anbieten. Beispielsweise können Angebote von Unternehmen eingeholt werden, die sich explizit mit der Thematik der digitalen Barrierefreiheit auskennen. Es ist ratsam, im Voraus zu recherchieren, welche Firmen Leistungen zur Barrierefreiheit anbieten und über umfangreiche Expertise auf diesem Gebiet verfügen.
Um Entscheidungen transparent zu gestalten, ist es zudem nützlich, den Entscheidungsprozess zu dokumentieren. Hierbei sollten die verschiedenen Anbieter sowie ihre Erfüllung von festgelegten Kriterien dokumentiert werden.
Recherchieren Sie die Expertise und Leistungen der Firmen in Bezug auf digitale Barrierefreiheit.
Achten Sie auf eine saubere Dokumentation des Entscheidungsprozesses.
5. Leistungsabnahme
Um sicherzustellen, dass das erworbene Produkt barrierefrei ist, empfiehlt es sich, dieses anhand bestimmter Kriterien zu überprüfen. Webseiten sollten eine Erklärung zur Barrierefreiheit enthalten, die detaillierte Informationen über den aktuellen Stand der Barrierefreiheit gibt. Sowohl Softwareprodukte als auch Webseiten sollten eigenständig auf digitale Barrierefreiheit geprüft werden. Dies kann beispielsweise durch eine Kompetenzstelle der Hochschule oder des Landes erfolgen. Außerdem können die Beschaffenden selbst die Kompetenzen haben, eine solche Prüfung durchzuführen.
Es ist ratsam, nicht einfach auf selbst erstellte Gutachten von Softwareunternehmen zu vertrauen, da diese oft nicht den tatsächlichen Stand der Barrierefreiheit vollständig oder nur unvollständig widerspiegeln. Im besten Fall hat das betreffende Unternehmen bereits ein externes Gutachten erstellen lassen.
Wir testen auch [barrierefrei Software an der Universität]. Wir haben die Expertise im Team mit mehreren Beschäftigten aufgebaut. Das heißt, wir können Sachen [Software und Produkte], die einzukaufen, zu beschaffen und zu entwickeln sind, begleitend mit testen und dies eben in der Rolle der Schwerbehindertenvertretung und dann den Finger in die Wunde drücken.²
Neben den technischen Überprüfungen der Barrierefreiheit an der Universität oder durch externe Gutachten sind Usertests mit Personen mit Behinderungen wichtig, um die Verständlichkeit und tatsächliche Nutzbarkeit sicherzustellen. Hierfür können beispielsweise Studierende mit Beeinträchtigungen angeworben oder angestellt werden.
Die Beteiligung an solchen Usertests sollte selbstverständlich vergütet werden.
Prüfen Sie die Produkte und Webseiten vor der Abnahme auf Barrierefreiheit anhand festgelegter Kriterien (z.B. BFIT-/WCAG-Test).
Führen Sie Testungen der Software in der Hochschule, im Idealfall mit Personengruppen mit eigener Behinderungserfahrung, durch.
6. Strategie
Um all diese Dinge an der Hochschule auch nachhaltig umsetzen zu können, ist es sinnvoll, dieses Vorgehen auch strategisch zu verankern. Es ist ratsam, intern eine Strategie zu vereinbaren, die in alle Phasen des Vergabeprozesses eingreift und deren Vorgaben entsprechend berücksichtigt werden. Der strategische Leitfaden sollte für alle Einrichtungen der Hochschule verbindlich sein. Hierbei sind zwei Punkte besonders wichtig: Barrierefreiheit muss als verpflichtendes Kriterium in allen Ausschreibungen und im Leistungsprozess fest verankert werden, und Interessenvertreter*innen sowie beeinträchtigte Personen sollten in alle Beschaffungsprozesse integriert werden.
Entwickeln Sie eine Strategie für den Vergabe- und Beschaffungsprozess.
Integrieren Sie die Barrierefreiheit als verbindliches Kriterium in allen Ausschreibungen und Leistungsprozessen.
Verpflichten Sie alle Bereiche der Hochschule auf diese Strategie.
Entwickeln Sie eine Strategie für die Beteiligungsverfahren: Wie werden etwa die Personalräte, Schwerbehindertenvertretungen und Inklusionsbeauftragte darin eingebunden?
Weitere Informationen zur Strategieentwicklung finden Sie auch im Buch „Strategie“.