1. Didaktische Kompetenz

Website: OpenMoodle der Universität Bielefeld
Kurs: Adaptive Lehrkompetenz für inklusiven Unterricht
Buch: 1. Didaktische Kompetenz
Gedruckt von: Gast
Datum: Samstag, 23. November 2024, 08:57

Beschreibung

Hier erfahren Sie etwas über inklusive (Fach)Didaktik und didaktische Kompetenz als Facette der adaptiven Lehrkompetenz.

(Inklusive) Didaktik - was ist das?

"Im Zuge der Auseinandersetzung um eine inklusive Schulentwicklung wurden in den letzten Jahren vermehrt auch explizit (fach‑)didaktische Fragen in Bezug auf die Herausforderungen eines inklusiven Unterrichts thematisiert (vgl. Amrhein und Dziak-Mahler 2014; Klauß 2014; Musenberg und Riegert 2015; Simon 2019; Werning und Avci-Werning 2016).

So stellen z. B. Musenberg und Riegert (2015, S. 16) fest, dass im Zusammenhang mit der Gestaltung von inklusivem (Fach-)Unterricht oft der Eindruck vermittelt worden sei, „das Gelingen schulischer Inklusion sei in erster Linie eine Frage der (richtigen) Haltung und Einstellung: ‚Anerkennung und Wertschätzung von Vielfalt‘, ‚Heterogenität als Chance‘, ‚alle Kinder willkommen heißen‘“. Diese „schlagwortartig vorgetragenen und normativ aufgeladenen Forderungen an die Lehrkräfte“ (ebd.) seien zunächst auch als ausreichende Antwort auf (fach‑)didaktische Fragestellungen erachtet worden, obwohl sie kaum Anhaltspunkte lieferten, wie eine konkrete Vermittlung von Unterrichtsinhalten in heterogenen Lerngruppen vonstattengehen könne (vgl. ebd.). Die Autor:innen zeigen damit eine wesentliche Leerstelle im fachdidaktischen Diskurs um die Umsetzung eines inklusiven (Fach‑)Unterrichts auf – die fachlich individuell zu konkretisierende Unterrichtsgestaltung." (Eckert und Liebsch 2020, S. 76)

"Den gedanklichen Rahmen der Auseinandersetzung bildet folgende grundlegende Auffassung von Didaktik: Didaktik als Theorie und Praxis verzahnende Handlungswissenschaft geht – auch in inklusiven Settings – miteinander verknüpften Fragen nach, die sich zwei entscheidenden Bereichen von Lehr-Lern-Prozessen zuordnen lassen (vgl. Jank und Meyer 2014, S. 16):

a) Zieldimension: Wer lernt etwas? Was soll gelernt werden? Wozu soll etwas gelernt werden?

b) Wegdimension: Wann soll etwas gelernt werden? Wie soll etwas gelernt werden? Von wem soll etwas gelernt werden? Mit wem soll etwas gelernt werden? Womit soll etwas gelernt werden?

Folgt man der Definition für inklusiven Fachunterricht von Musenberg und Riegert (2015, S. 24), deutet sich der Kontext an, in dem sich das didaktische Handeln von Lehrkräften vollzieht: „Inklusiver Fachunterricht unterbreitet fachbezogene Bildungsangebote für alle Schülerinnen und Schüler und ermöglicht individuelle Lernfortschritte und subjektiv sinnvolle Teilhabe an gemeinschaftlich erlebten Unterrichtsangeboten.“

Durch planvolles didaktisches Handeln schaffen Lehrer:innen geeignete Lerngelegenheiten für alle Mitglieder einer Lerngruppe. Die Zieldimension (Wer lernt was?) wird unter dieser Prämisse mit der Wegdimension (Wie kann eine optimale Vermittlung dessen gewährleistet werden?) verknüpft, wobei die individuellen Lernvoraussetzungen der Schüler:innen dabei als „zentrale Bestimmungsmomente der differenzierten Unterrichtsgestaltung“ (ebd.) gelten und zu den „fachdidaktischen Ansprüchen des Unterrichtsfaches in Beziehung gesetzt“ (ebd.) werden .

Vor dem Hintergrund dieser für eine gelingende Inklusion entscheidenden Bedingung stellen u.a. (Binnen-)Differenzierung und Individualisierung geeignete didaktische, methodische und organisatorische Maßnahmen dar, mit denen Lehrende adaptiv auf die unterschiedlichen Lernbedürfnisse der Lernenden reagieren können (vgl. Vock und Gronostaj 2017, S. 65)." (Eckert und Liebsch 2020, S. 77)

Fragen der Didaktik im DiMiLL

"Diese wesentlichen Charakteristika einer auf Inklusion abzielenden Unterrichtsgestaltung – unbedingte Berücksichtigung der Lernausgangslage sowie passgenaue Lernangebote durch Adaption – sind auch der inklusiven (Fach-)Didaktik, wie sie im DiMiLL angelegt ist, immanent." (Eckert und Liebsch 2020, S. 77)

Die folgenden Hinweise dienen der Wiederholung, sie müssen Ihnen aus dem Baustein I bekannt vorkommen!  Sed repetitio est master studiourum.
Grafik des DiMiLL
Die Prozessmerkmale

"Weitere zentrale Aspekte der Organisation von inklusiven Lehr-Lern-Prozessen nach dem DiMiLL sind das kontinuierliche Mitdenken verschiedener Heterogenitätsdimensionen sowie die Umsetzung der Prozessmerkmale Partizipation, Kooperation, Kommunikation und Reflexion in allen unterrichtlichen Prozessen (vgl. Simon 2019, S. 23ff.).

Die Prozessmerkmale bestimmen schließlich die Qualität aller differenzierenden, individualisierenden und gruppenbezogenen Unterrichtselemente und sind bei der Planung, Umsetzung und Evaluation von inklusivem Unterricht stets zu berücksichtigen." (Eckert und Liebsch 2020, S. 77)

Die Strukturelemente

"Konkrete Fragen der Unterrichtsgestaltung sind darüber hinaus mit den Strukturelementen des DiMiLL verknüpft, in denen sich auch die Ziel- und Wegdimension didaktischer Fragestellungen verorten lassen. Die Strukturelemente beschreiben Themen und Inhalte, Methoden und Medien, Ausgangslage und Erfolgskontrolle. Während sich Themen und Inhalte vor allem dem „Was“ und „Wozu“ widmet, betreffen die Fragen des „Wie“ und „Womit“ Methoden und Medien . Die individuelle Kompetenzentwicklung im Zentrum des Modells ist mit beiden Dimensionen verknüpft und stellt gleichzeitig Start und Ziel aller didaktischen Überlegungen im inklusiven (Fach-)Unterricht dar.

Vor allem die Frage nach den Themen und Inhalten stellt „eine grundlegende Aufgabe in der Theoriebildung zum inklusiven Unterricht dar“ (Frohn 2019, S. 61) und berührt außerdem auch unmittelbar dessen praktische Umsetzung, da sich auch ein inklusiver Unterricht nur an konkreten fachlichen Inhalten vollziehen lässt (vgl. Musenberg und Riegert 2013). Frohn weist mit Bezug zu unterschiedlichen Theorien der Inhaltsauswahl darauf hin, „dass nicht alle Lernenden im inklusiven Unterricht tatsächlich identische Inhalte, wohl aber übergreifende gemeinsame Themenkomplexe bearbeiten – auch wenn hier die besondere Schwierigkeit im Aufbereiten entsprechender Lehr-Lern-Situationen liegt“ (2019, S. 63). Diese Schwierigkeiten lassen sich nur – wie oben bereits festgestellt – durch adaptive Strategien bewältigen, die mit den Facetten der adaptiven Lehrkompetenz verknüpft sind (vgl. Simon 2019, S. 25)." (Eckert und Liebsch 2020, S. 77f.)

Adaptive didaktische Kompetenz

"Was bedeutet adaptive didaktische Kompetenz? Nach Brühwiler (2014, S. 84) „dienen didaktische Überlegungen dazu, auf der Basis diagnostischer Informationen und mit Blick auf die angestrebten Ziele lernförderlichen Unterricht zu gestalten.“ Er verknüpft dabei sowohl eher methodisch-(allgemein-)didaktisches Wissen (Wegdimension) wie auch fachlich-(fach-)didaktisches Wissen (Zieldimension), um eine adaptive didaktische Kompetenz zu beschreiben (vgl. ebd.).

Lehrkräfte verfügen demnach über ein hohes Maß an Kompetenz, wenn sie sowohl über ein großes, flexibel einsetzbares Methodenrepertoire verfügen als auch in der Lage sind, Unterrichtsgegenstände so zu strukturieren, dass sie Schüler:innen den individuellen „Aufbau von Handlungs-, Wissens- und Denkstrukturen“ (Beck et al., 2008, S. 44) ermöglichen.

Dafür ist Fachwissen vonnöten, das „wiederum die Voraussetzung für fachdidaktisches Wissen ist – also Wissen über die curriculare Anordnung und didaktische Sequenzierung der Lerninhalte, über das Potenzial und die Schwierigkeit von Aufgaben sowie über typische Fehler, Fehlvorstellungen und Schwierigkeiten“ (Vock & Gronostaj 2017, S. 80).

Zu dieser bereits hinreichend anspruchsvollen Kombination an Wissensbereichen treten in jüngster Zeit neben allen Herausforderungen, die mit der Unterrichtung heterogener Gruppen einher gehen, z. B. die Anforderungen hinzu, die ein sprachbildender Fachunterricht an die Lehrkräfte richtet. [...]

Dezidiert inklusive Grundprämissen der didaktischen Kompetenz sind die Forderung nach einem hohen Maß an Schüler:innenorientierung hinsichtlich der Inhalte und Methoden (vgl. Brühwiler 2014, S. 85) und die damit verbundene Bedeutung einer „fundierte[n] Diagnose der Lernausgangslage“ (ebd., S. 86; Herv. Verf.). Didaktische und diagnostische Kompetenz stehen daher in einem engen Verhältnis zueinander. [...][Es] wird darüber hinaus die kritische Reflexion und zielorientierte Gestaltung von Unterricht „unter Beachtung der curricularen und institutionellen Rahmenbedingungen“ (Jank & Meyer, 2014, S. 160) angestrebt. Denn „für inklusive Settings spielen die Rahmenbedingungen möglicher Lehr-Lern-Situationen – schulorganisatorische Bedingungen, fachdidaktische Bedingungen und gesamtgesellschaftliche Bedingungen – eine ebenso große Rolle“ (Frohn & Brodesser, 2019, S. 441), finden in den Konzepten zur adaptiven Lehrkompetenz bisher aber kaum Beachtung.

Mit diesem Aspekt wird auch deutlich, dass didaktische Kompetenz „nicht erst im Unterrichtshandeln, sondern schon bei der Unterrichtsplanung“ (Brühwiler, 2014, S. 87) zum Tragen kommen muss. Nach Beck et al. (2008, S. 41) setzt sich adaptive Lehrkompetenz in allen Konstruktfacetten aus einer Planungs- und einer Handlungskomponente zusammen, denen jeweils spezifische Arten und Funktionen von Wissen zuzuordnen sind, wobei diese „zeitlich und funktional unterschiedlich angelegt, aber nicht unabhängig voneinander sind“ (Brühwiler, 2014,
S. 91). So ist auch die didaktische Kompetenz sowohl Teil der adaptiven Planungskompetenz als
auch der Handlungskompetenz, da sich didaktische Fragestellungen immer auf eine konzeptionelle und eine performative Perspektive von organisierten Lehr-Lern-Prozessen beziehen.

Didaktische Kompetenz  sollte „nicht erst im Unterrichtshandeln, sondern schon bei der Unterrichtsplanung“ (ebd., S. 87) zum Tragen kommen. Nach Beck et al. (2008, S. 41) setzt sich adaptive Lehrkompetenz in allen Konstruktfacetten aus einer Planungs- und einer Handlungskomponente zusammen, denen jeweils spezifische Arten und Funktionen von Wissen zuzuordnen sind, wobei diese „zeitlich und funktional unterschiedlich angelegt, aber nicht unabhängig voneinander sind“ (Brühwiler 2014, S. 91).

So ist auch die didaktische Kompetenz sowohl Teil der adaptiven Planungskompetenz als auch der Handlungskompetenz, da sich didaktische Fragestellungen immer auf eine konzeptionelle und eine performative Perspektive von organisierten Lehr-Lern-Prozessen beziehen.

Das Prozessmerkmal Reflexion spielt in Bezug auf didaktische Kompetenz eine entscheidende Rolle, da hiermit ein kritisches und prüfendes Nachdenken über unterrichtliche Prozesse und die ständige Selbstbeobachtung und -evaluation von Lehrkräften gemeint ist (vgl. Capellmann & Gloystein, 2019, S. 46). Dies gilt sowohl für die Handlungs- als auch für die Planungsebene. So hat die Idee „professionelles Lernen auf systematische Reflexion zu gründen […] auch in der Lehrkräftebildung an Bedeutung und Entsprechung in hochschuldidaktischen Konzepten gewonnen“ (ebd., S. 47). Um Reflexionsprozesse bei angehenden Lehrkräften strukturiert anzuleiten, kann zunächst eine Unterscheidung von drei Reflexionshandlungen hilfreich sein:
„Wissen-in-der-Handlung“, „Reflexion-in-der-Handlung“ und „Reflexion-über-die-Handlung“ (vgl. Heppekausen, 2013, S. 112). Während die ersten beiden Facetten der Handlungsebene von Unterricht zugeordnet werden können, berührt die dritte Facette auch unmittelbar die Planungsebene, wenn die Vor- und Nachbereitung eines inklusiven Unterrichts als „reflexive pädagogische Praxis“ (Capellmann & Gloystein, 2019, S. 47) verstanden wird.

Darüber hinaus kann Reflexion als ein Handlungs- und Planungskompetenz verbindendes Element gewertet werden." (Eckert und Liebsch 2020, S. 78f.)

Literaturverzeichnis

Als Vorlage für dieses Moodle-Buch dient der Text "Der Baustein Adaptive didaktische Kompetenz: inklusive (Fach-)Didaktik und adaptive didaktische Kompetenz" (2020) von Ann-Catherine Liebsch und Fabian Eckert (erschienen in Brodesser et al. (2020), S. 76-87).

Amrhein, B. & Dziak-Mahler, M. (Hrsg.). (2014). Fachdidaktik inklusiv. Auf der Suche nach didaktischen Leitlinien für den Umgang mit Vielfalt in der Schule. Münster: Waxmann.

Beck, E., Baer, M., Guldimann, T., Bischoff, S., Brühwiler, C., Müller, P. et al. (Hrsg.). (2008). Adaptive Lehrkompetenz. Analyse und Struktur, Veränderbarkeit und Wirkung handlungssteuernden Lehrerwissens (Pädagogische Psychologie und Entwicklungspsychologie, Bd. 63). Münster: Waxmann.

Brodesser, E., Frohn, J., Welskop, N., Liebsch, A., Moser, V., Pech, D. (Hrsg.). (2020). Inklusionsorientierte Lehr-Lern-Bausteine für die Hochschullehre (Interdisziplinäre Beiträge zur Inklusionsforschung). Bad Heilbrunn: Klinkhardt.

Brühwiler, C. (2014). Adaptive Lehrkompetenz und schulisches Lernen. Effekte handlungssteuernder Kognitionen von Lehrpersonen auf Unterrichtsprozesse und Lernergebnisse der Schülerinnen und Schüler. Münster: Waxmann.

Frohn, J. (2019). Themen und Inhalte. In J. Frohn, E. Brodesser, V. Moser & D. Pech (Hrsg.), Inklusives Lehren und Lernen. Allgemein- und fachdidaktische Grundlagen (Interdisziplinäre Beiträge zur Inklusionsforschung, S. 61–64). Bad Heilbrunn: Klinkhardt.

Jank, W. & Meyer, H. (2014). Didaktische Modelle. Buch als E-Book (11. Auflage). Berlin: Cornelsen Schulverlage.

Klauß, T. (2014). Inklusive Bildung – Erkenntnisse und Konzepte aus Fachdidaktik und Sonderpädagogik. In S. Trumpa, S. Seifried, E.-K. Franz & T. Klauß (Hrsg.), Inklusive Bildung. Erkenntnisse und Konzepte aus Fachdidaktik und Sonderpädagogik (S. 11–23). Weinheim: Beltz Juventa.

Musenberg, O. & Riegert, J. (2013). »Pharao geht immer!« - Die Vermittlung zwischen Sache und Subjekt als didaktische Herausforderung im inklusiven Geschichtsunterricht der Sekundarstufe. Eine explorative Interview-Studie. Zeitschrift für Inklusion (4). https://​www.inklusion-online.net​/​index.php/​inklusion-​online/​article/​view/​202. Zugegriffen: 20. September 2021.

Musenberg, O. & Riegert, J. (2015). Inklusiver Fachunterricht als didaktische Herausforderung. In J. Riegert & O. Musenberg (Hrsg.), Inklusiver Fachunterricht in der Sekundarstufe (S. 13–28). Stuttgart: Kohlhammer.

Simon, T. (2019). Zum Inklusionsverständnis von FDQI-HU. In J. Frohn, E. Brodesser, V. Moser & D. Pech (Hrsg.), Inklusives Lehren und Lernen. Allgemein- und fachdidaktische Grundlagen (Interdisziplinäre Beiträge zur Inklusionsforschung, S. 21–27). Bad Heilbrunn: Klinkhardt.

Vock, M. & Gronostaj, A. (2017). Umgang mit Heterogenität in Schule und Unterricht (Schriftenreihe des Netzwerk Bildung, Bd. 40.2). Berlin: Friedrich-Ebert-Stiftung.

Werning, R. & Avci-Werning, M. (2016). Herausforderung Inklusion in Schule und Unterricht. Grundlagen, Erfahrungen, Handlungsperspektiven (Unterrichtsentwicklung und Unterrichtsqualität Praxisband, 2. Auflage). Seelze: Klett/Kallmeyer.