Text: Medien.Gesellschaft
Website: | OpenMoodle der Universität Bielefeld |
Kurs: | Medienkompetenz für die digitale Welt. Ein praktischer Wegweiser |
Buch: | Text: Medien.Gesellschaft |
Gedruckt von: | Gast |
Datum: | Samstag, 17. Mai 2025, 21:55 |
Inhaltsverzeichnis
- 1. Grundlegende Veränderungen in einer Kultur der Digitalität
- 2. Menschsein in einer Welt der digitalen Technologien
- 3. Neue Medien? Neue Möglichkeiten? – Einblick in die Herausforderungen von Teilhabe
- 4. Digital Divide und Digital Inequality
- 5. Neue Medien – Neue Machtverhältnisse?
- 6. Navigieren durch die Digitale Transformation der Bildung
- 7. Digitale Transformation in der Bildung: Die Diskussion über neue Lernziele
- 8. Von neuen Zugängen zum Wissen und einer Informationsflut
- 9. Zuspitzung Bildungsgerechtigkeit als zentrales Thema der Herausforderung
- 10. Fazit
- 11. Verwendete Quellen
2.1 Grundlegende Veränderungen in einer Kultur der Digitalität
In einer digitalen Welt, in der digitale Technologien alle Lebensbereiche wie Bildung, Gesundheitswesen, Arbeitsmarkt, Wirtschaft, Politik etc. beeinflussen und verändern, verschwimmen die Grenzen zwischen Mensch und Technik zunehmend. Damit einher gehen Transformationen – also Veränderungen – unseres Menschseins, unseres Daseins und unserer Gesellschaft, die sich zwangsläufig wechselseitig gestalten und die dazu führen, dass Digitalisierung aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken ist. Es zeigt sich also ein komplexes Wirkungsgefüge aus digitalen Technologien und unserem Leben (vgl. Puzio et al. 2022: 1).
Sicherlich fallen Ihnen viele Beispiele ein, bei denen digitale Technologien eine wichtige Rolle spielen und zu Veränderungen in den genannten Lebensbereichen führen. Zum Teil können das direkt erlebbare Veränderungen sein, wie z.B. die Möglichkeit des Homeoffice bzw. der Remote Arbeit auf dem Arbeitsmarkt, da viele Tätigkeiten über das Internet orts- und zeitunabhängig zu erledigen sind und Büroräume zunehmend überflüssig werden. Auch Gesundheitsdaten wie Schrittzahl, Puls und Schlafrhythmus, die von sogenannten Wearables
Welche Bedeutung hat der Wegfall der Ortsgebundenheit für Arbeitsverhältnisse, wenn es darum geht, dass Arbeitnehmende im Ausland zum Teil viel günstiger beschäftigt werden? Wie werden die durch Wearables generierten Datenmengen von Unternehmen, Gesundheitssystemen und ggf. Regierungen genutzt? Wie verändern sich Politik und politische Teilhabe vor dem Hintergrund der neuen Möglichkeiten von Deep Fake (zum Begriff Deep Fake siehe u.a. Einheit Medien.Daten)? Die Auswirkungen digitaler Technologien auf unser Leben sind vielfältig und können meist als zweiseitige Medaille mit ihren positiven und negativen Aspekten betrachtet werden (vgl. Puzio et al. 2022). Um diese Fragen einordnen zu können, bedarf es neben der regelmäßigen Beschäftigung mit der Thematik eines lebenslangen reflexiven Prozesses im Sinne der Medienbildung (zum Begriff der Medienbildung siehe Einheit Medien.Begriffe). Dazu gehört ein Verständnis der Wechselwirkungen zwischen Mensch, Gesellschaft und Medium, die im Folgenden näher betrachtet werden.
Aufgabe
Bearbeiten Sie die folgende Aufgabe: Internetrecherche
Wearables
kleine Computersysteme, die am Körper getragen werden wie Smartwatches und Fitnesstracker
×2.2 Menschsein in einer Welt der digitalen Technologien
Betrachten wir die Veränderungen durch die Digitalisierung nun konkreter aus der Perspektive des*r Einzelnen. Mit welchen Themen sieht er*sie sich konfrontiert, vor welchen Herausforderungen steht er*sie und was hat sich im Vergleich zu früher verändert? Auf der Ebene des Individuums ist ein zentraler Aspekt die Identitätsbildung, die durch digitale Medien beeinflusst wird. Das Internet und die damit einhergehende Globalisierung ermöglichen es, auf unterschiedlichste Lebensentwürfe zuzugreifen, sich darüber auszutauschen und sich so immer wieder neu entscheiden zu können und zu müssen, wie man sein Leben und seine Identität gestalten möchte (vgl. Eickelpasch/Rademacher 2004; siehe Einheit Medien.Identität). Darüber hinaus bieten Social Media- und Videoplattformen die Möglichkeit der Selbstdarstellung und damit das Potenzial zur Darstellung der eigenen Identität (vgl. Kneidinger-Müller 2022). Wie unterschiedlich die eigene Darstellung auf den verschiedenen Plattformen aussehen kann, hat die amerikanische Sängerin Dolly Parton im Jahr 2020 gezeigt und unzählige Menschen zur #DollyPartonChallenge inspiriert. Auf einer Collage aus vier Bildern zeigt sie sich seriös im Kostüm für die Jobbörse LinkedIn, festlich im Weihnachtspullover für Facebook, im Countryoutfit für Instagram und aufreizend im Bunnykostüm für die Datingplattform Tinder. Die Collage untertitelte sie mit dem Satz »Get you a woman who can do it all«, also »Such dir eine Frau, die alles kann«. Neben der offensichtlichen Kritik an bestehenden Frauenbildern in der Gesellschaft kritisierte sie damit die Tatsache, dass auf jeder Plattform eine andere Persönlichkeit gefordert wird und man dieser Forderung unter Aufgabe der eigenen Identität nachkommen muss, wenn man den dort geschaffenen gesellschaftlichen Normen folgen will. Zahlreiche Prominente haben daraufhin eine Collage (vgl. Winkler 2020) erstellt. In Anlehnung an die in der vorherigen Einheit erläuterte und die ursprünglich von Stalder (2016) beschriebene ›Kultur der Digitalität‹ (siehe Einheit Medien.Begriffe) gehört zur Identitätsdarstellung auch die Bezugnahme (Referenz) auf andere Inhalte innerhalb der eigenen Gemeinschaft, um den geteilten Inhalten eine Bedeutung zu geben. Auch hier spielen Algorithmen (zum Begriff ›Algorithmen‹ siehe auch Einheit Medien.Daten) eine wichtige Rolle, da sie beeinflussen, welche Inhalte wahrgenommen werden und damit eine Vorbildfunktion und einen Vergleichswert aufweisen. Digitale Medien besitzen also einen großen Einfluss auf die individuelle Persönlichkeit und darauf, wie man sich selbst sieht und darstellt und ob bzw. wie man von anderen wahrgenommen wird. Im Sinne einer reflexiven Medienbildung muss dies immer wieder kritisch betrachtet werden. In der Einheit Medien.Identität werden wir das Phänomen der veränderten Identitätsbildung und die damit verbundenen Chancen und Herausforderungen näher beleuchten.
Stop and Think
Welche Bedeutung hat die Darstellung der eigenen Person in den sozialen Medien für Sie persönlich? Wie unterscheidet sich die Darstellung auf verschiedenen Plattformen und wie beeinflusst Sie der Vergleich mit anderen Personen?
Aufgabe
Bearbeiten Sie die folgende Aufgabe: Dolly Parton Challenge Collage
Die Bedeutung für das Alltagsleben zeigt sich bspw., wenn Döbeli Honegger (2017) die Automatisierung – also die Übernahme verschiedenster Aufgaben durch digitale Technologien – als einen relevanten Auslöser des digitalen Wandels identifiziert und die Digitalisierung als Grundvoraussetzung dafür benennt.
Digitale Technologien, die im Haushalt unterstützen (z.B. der Staubsauger- oder Mähroboter), den Alltag organisieren (z.B. der Kühlschrank, der über Sensoren erkennt, wenn Lebensmittel zur Neige gehen und diese nachbestellt) oder den Einkauf erleichtern (vom Self-Checkout bis zum kassenlosen Supermarkt), verändern das tägliche Leben. Roboter und KI-Systeme (zum Begriff ›KI‹ siehe Einheit Medien.Daten), die in der Produktion oder in der Chirurgie eingesetzt werden, verändern das Alltags- und Berufsleben. Dabei kann die Automatisierung einerseits als Gewinn, andererseits aber auch als Bedrohung des Arbeitsplatzes oder des menschlichen Miteinanders wahrgenommen werden.
Literatur- und Web-Tipp
Zu den möglichen Auswirkungen von KI finden Sie in einer Folge des Podcasts Der KI-Podcast weitere Hinweise: https://www.ardaudiothek.de/episode/der-ki-podcast/werden-wir-alle-arbeitslos/ard/94637888/
Stop and Think
Reflektieren Sie die Automatisierung vor dem Hintergrund Ihres eigenen Lebens. An welchen Stellen erleben Sie die Automatisierung als Erleichterung und an welchen Stellen ergeben sich Sorgen oder Fragen? Haben Sie sich schon einmal unwohl gefühlt, weil in der Kultur der Digitalität keine Menschen mehr ansprechbar waren? Wenn ja, wann? (Denken Sie z.B. an Situationen wie Self Luggage Drop am Flughafen, Online-Banking etc.)
Auch die Vernetzung und die damit verbundene Möglichkeit, über das Internet jederzeit auf beliebige Informationen zuzugreifen und diese austauschen und diskutieren zu können, sind ein positiver Aspekt des Wandels. Gleichzeitig erlebt unsere Gesellschaft als Folge eine Informationsflut, bei der man oft nicht mehr zwischen Realität und Täuschung unterscheiden kann (vgl. Döbeli Honegger 2017). In sogenannten Filterblasen (vgl. Pariser 2012) erreichen die einzelne Person mit Hilfe von Algorithmen vorgefilterte Informationen, und eine objektive Recherche ist an vielen Stellen nur noch eingeschränkt möglich. Die persönliche Meinung wird durch diese Filterblasen (zum Begriff ›Filterblasen‹ siehe Einheit Medien.Daten und Einheit Medien.Identität) immer weiter bestärkt, sodass eine Objektivierung der eigenen Perspektive nur mit großem Mehraufwand möglich ist (siehe hierzu auch die Einheit Medien.Daten). Zudem bietet das Internet Raum für Kriminalität, Rassismus und die Unterdrückung von Minderheiten.
Durch das Internet rückt die Menschheit über Ländergrenzen hinweg immer näher zusammen und die Globalisierung nimmt zu. Das hat bspw. zur Folge, dass sich die Preisgestaltung auf Grund der unmittelbaren Vergleichbarkeit ändert und Arbeitskräfte aus weit entfernten Ländern eingestellt werden, weil dies einen wirtschaftlichen Vorteil bietet. All dies erfordert zwangsläufig mehr Toleranz gegenüber »kulturelle[n] Unterschiede[n], Praktiken und Weltanschauungen sowie die Fähigkeit, diese Vielfalt für kreativere Antworten für die Herausforderungen unserer Welt zu finden« (Fadel et al. 2017: 101).
Eine weitere Herausforderung, die mit dem digitalen Wandel einhergeht, ist der Verlust der Privatsphäre (vgl. Döbeli Honegger 2017). Durch Social Media wird Privates und Persönliches öffentlich gemacht und der Schutz der eigenen Daten erscheint angesichts von Big Data und Data Tracking (siehe dazu Einheit Medien.Daten und Einheit Medien.Identität) herausfordernd (vgl. Reckwitz 2017; Nassehi 2019). Steffen Mau spricht in seinem Buch »Das metrische Wir« (2017) bereits von »Reservate[n] der Datenfreiheit«, die nur schwer zu entdecken sind. Ob beim Online-Einkauf, der Internetrecherche oder den akzeptierten Cookie-Einstellungen (weitere Informationen zu Cookie-Einstellungen siehe Einheit Medien.Daten) beim Aufruf einer Website: Man hinterlässt im Dauertakt persönliche Daten, ohne dass man sich darüber im Klaren ist, was mit diesen weiter geschieht oder wer sie wie nutzt.
Digitale Prozesse, die die Sammlung und Auswertung von Daten beschleunigen, machen diese bspw. für Wirtschaftsunternehmen zu einer wichtigen Ressource, »da die entsprechenden Informationen verwendet werden können, um Kunden zu gewinnen, den kommerziellen Nutzen von Personen zu ermitteln oder sie in ihren Entscheidungen zu dirigieren« (Mau 2017: 40).
So können Unternehmen mit Hilfe von Data Analytics und Data Tracking (siehe Einheit Medien.Daten) individualisierte und auf einzelne Konsument*innen zugeschnittene Werbung anbieten, politische Parteien ein Wähler*innenprofil erstellen sowie entsprechend bedienen und in der Medizin spezifische Besonderheiten von Patient*innen berücksichtigt werden. Ziel ist es also, Vorhersagen in Bezug auf das Individuum treffen zu können (vgl. Reckwitz 2017: 255). So nimmt einerseits die Bedeutung von Daten in Form von Zahlen immer weiter zu (Mau 2017), andererseits wird immer mehr im Leben automatisiert messbar und damit durch Daten und Zahlen darstellbar (zum Begriff der ›Omnimetrie‹, also der automatisierten Messbarkeit in der Digitalisierung, vgl. Döbeli Honegger (2017).
Literatur- und Web-Tipp
Wenn Sie sich tiefergehend mit den Auswirkungen der Quantifizierung unserer Welt und deren Auswirkungen auseinandersetzen wollen, empfehlen wir folgendes Buch: Mau, Steffen (2017). Das metrische Wir. Über die Quantifizierung des Sozialen. Berlin: Suhrkamp.
Die Prozesse der Automatisierung, Vernetzung und Globalisierung und der Verlust der Privatsphäre wirken sich somit bereits heute auf das tägliche Leben und Handeln aus und bestimmen in großem Maße, wie die Gesellschaft in Zukunft leben wird. Jedoch ist die Zukunft nicht durch die digitalen Technologien vorherbestimmt, sondern kann aktiv mitgestaltet werden (vgl. Kerres 2023). Um mit digitalen Medien selbstbestimmt sowie verantwortungsbewusst umgehen zu können und sich potenzieller Auswirkungen und Gefahren bewusst zu sein, muss man diese Prozesse und ihre Auswirkungen reflektieren lernen. Hierbei kann Ihnen bspw. die Einheit Medien.Daten helfen, das sich tiefergehend mit zentralen Themen wie Big Data, Data Tracking, Algorithmen und der damit verbundenen Datenkompetenz (Data Literacy) beschäftigt und Sie in der reflektierten Betrachtung dieser Themen unterstützt.
Stop and Think
Reflektieren Sie die von Ihnen täglich produzierten Daten. Tragen Sie bspw. eine Smartwatch oder nutzen Sie Smart-Home-Technologie? Besitzen Sie Accounts in den Sozialen Medien und welche Cookies lassen Sie bei Aufrufen einer Website zu? Vermutlich fallen Ihnen noch weitere Fälle ein, bei denen Daten von Ihnen gesammelt werden.
Take Home Messages
- In der heutigen Welt braucht es ein Verständnis der Wechselwirkungen zwischen Mensch, Gesellschaft und digitalen Technologien.
- Die Gestaltung von Identität hat sich auf Grund der digitalen Medien und der damit einhergehenden Globalisierung verändert (siehe auch Einheit Medien.Identität).
- Digitalisierung ist die Voraussetzung für den digitalen Wandel, welcher Prozesse der verstärkten Automatisierung, Vernetzung und Globalisierung mit sich bringt.
- Damit gehen Veränderungen einher, die sowohl das Individuum als auch die Gesellschaft betreffen (z.B. die Informationsflut und entstehende Filterblasen, der Verlust der Privatsphäre und die Veränderung der Bedeutung von Daten).
Aufgaben
Bearbeiten Sie die folgenden Aufgaben:
2.3 Neue Medien? Neue Möglichkeiten? – Einblick in die Herausforderungen von Teilhabe
Schauen wir uns nun an, welche Möglichkeiten der Teilhabe, aber auch damit verbundene Herausforderungen die digitalen Veränderungen mit sich bringen. Das Internet bietet viele Möglichkeiten der Beteiligung: jede*r kann sich äußern, sei es in zahlreichen Foren, Blogs, Social Media- oder Videoplattformen. Die Form reicht vom geschriebenen Text über Bilder bis hin zu Videos. Gatekeeper
Gatekeeper
Faktor, der Einfluss auf Entscheidungen nimmt und beispielsweise darüber entscheidet, ob ein Artikel veröffentlicht wird oder nicht
×LGBTIQ
LGBTIQ steht für die englischen Worte: lesbian, gay, bisexual, transgender/transsexual, intersex, queer/questioning. Übersetzt heißen die Begriffe: lesbisch, schwul, bisexuell, transgender/transsexuell, intersexuell, queer/fragend. Inzwischen auch LGTBQIA+: asexuell, in der Erweiterung
×2.4 Digital Divide und Digital Inequality
Digital Divide bedeutet, dass nicht alle Menschen gleichermaßen Zugang zu Informations- und Kommunikationstechnologien besitzen. Um zu verdeutlichen, dass die Kluft in der Nutzung über diese Hürde des Zugangs hinausgeht, etablierten DiMaggio und Hargittai den Begriff ›Digital Inequality‹ (vgl. DiMaggio /Hargittai 2001), denn nicht alle Menschen haben den gleichen Zugang zu Informations- und Kommunikationstechnologien oder profitieren in gleicher Weise von ihrer Nutzung. Dabei benennen DiMaggio und Hargittai (2001) fünf Dimensionen der Ungleichheit: In der ersten Dimension betrachten Sie die unterschiedlichen technischen Mittel (bspw. digitale Endgeräte und Zugang zum Internet), mit denen auf das Internet zugegriffen wird. Die zweite Dimension umfasst die Autonomie des Zugriffs (bspw. in Bezug auf kontrollierte und beschränkte Zugänge). Die dritte Dimension bezieht sich auf die variierenden Fähigkeiten der Personen in Bezug auf die Nutzung des Internets und die vierte auf die vorhandenen Unterstützungssysteme. Die letzte Dimension betrachtet die unterschiedlichen Einsatzmöglichkeiten bzw. den Nutzungszweck digitaler Technologien. Folgende Personengruppen sind in einer auf digitale Technologien ausgelegten Welt benachteiligt: Personen, die…
- einen schwachen sozioökonomischen Hintergrund besitzen,
- keinen physischen Zugang zur Technologie erhalten (bspw. auf Grund fehlender Infrastruktur oder bestehender Barrieren),
- Unterstützung bei der Nutzung der Technologien bedürfen oder
- Hilfe bei der Auswertung der Inhalte benötigen.
Oftmals erfolgt diese Benachteiligung in Verbindung mit einer weiteren bereits bestehenden Benachteiligung, die die Bildung, das Einkommen oder den Gesundheitszustand betrifft. Teilweise basieren sie aber auch auf kulturellen Unterschieden, die zu einer verringerten Nutzung der Medien führen (vgl. Cullen 2001).
Das Barrierefreiheitstärkungsgesetz zielt darauf ab, diese Kluft zu mindern, indem es ausgehend vom European Accessibility Act (EAA) Barrierefreiheit als nationales Recht festlegt. So sind bereits seit 2021 alle öffentlichen Einrichtungen (dazu zählen bspw. Behörden, Hochschulen etc.) dazu aufgefordert u.a. Websites barrierefrei zu gestalten und so digitale Zugangsmöglichkeiten zu schaffen. Ab Juni 2025 müssen Produkte (bspw. PCs, Laptops, Smartphones, eBook-Reader etc.) und Dienstleistungen (bspw. Telekommunikationsdienste und Online-Handel) ebenfalls barrierefrei gestaltet sein (vgl. Bundesfachstelle Barrierefreiheit o.J.; siehe auch Einheit Medien.Didaktik). Mit Blick auf die betroffenen Personengruppen wird jedoch deutlich, dass diese Maßnahmen die digitale Kluft nicht schließen können. So bedarf es neben Barrierefreiheit insbesondere auch inklusiver Medienbildung, um allen Menschen die nötigen Kompetenzen für einen selbstbestimmten Umgang mit digitalen Medien und die Teilhabe an unserer digitalen Gesellschaft zu ermöglichen (siehe auch Einheit Medien.Rezeption).
Angesichts dieser Überlegungen verwundert es nicht, dass die Zukunft der Digitalisierung oftmals zwischen den Polen der Utopie und der Dystopie liegt: einerseits einer Welt, in der Wissen für alle frei zugänglich zur Verfügung steht und digitale Technologien zu einer erhöhten Partizipation führen und andererseits einer Welt, die sich postdemokratisch darstellt und in der die Menschheit überwacht und kontrolliert wird und das Wissensmonopol bei Einzelnen liegt (vgl. Heinz 2023). Ein weiterer Faktor, der in diesem Zusammenhang näher betrachtet werden muss, ist der sogenannte ›Digital Bias‹ (siehe Einheit Medien.Daten). Denn auch wenn die Technik auf den ersten Blick objektiv erscheint, ist sie es nicht. Vielmehr kommen beim Einsatz von Algorithmen die gleichen Vorurteile zum Tragen, die auch sonst in unserer Gesellschaft vorhanden sind, da die Algorithmen von Personen erstellt werden und auf den Weltvorstellungen dieser basieren. Wenn Sie sich intensiver mit dem Aspekt des Digital Divides beschäftigen wollen, nutzen Sie die Einheit Medien.Didaktik. Der Begriff Digital Bias und dessen Auswirkungen auf die Repräsentation unterschiedlicher Personengruppen sowie erste Ansätze gegen die digitale Diskriminierung werden in der Einheit Medien.Daten näher beschrieben.
Literatur- und Web-Tipps
Hinweise zur Gestaltung barrierefreier Websites finden Sie auf der Webseite der Zentralen Anlaufstelle Barrierefreiheit (ZAB) der Universität Bielefeld: https://www.uni-bielefeld.de/einrichtungen/zab/digitale-barrierefreiheit/barrierefreie-webseiten/barrieren-a-z/
Erklärvideo der Bundesfachstelle Barrierefreiheit zum Barrierefreiheitsstärkungsgesetz:
https://www.bundesfachstelle-barrierefreiheit.de/DE/Fachwissen/Produkte-und-Dienstleistungen/Barrierefreiheitsstaerkungsgesetz/Video-Barrierefreiheitsstaerkungsgesetz/node.html
Aufgabe
Bearbeiten Sie die folgende Aufgabe: Digitale Barrierefreiheit
2.5 Neue Medien – Neue Machtverhältnisse?
Aber nicht nur die ungleichen Zugangsmöglichkeiten verhindern eine gleichberechtigte Teilhabe. Andreas Reckwitz spricht von einem »Matthäus-Effekt der ungleichen Aufmerksamkeit«, da diejenigen, die bereits zuvor eine hohe Aufmerksamkeit erhielten, noch mehr Öffentlichkeit bekämen. Dies werde zusätzlich von technischen Prozessen wie bspw. Algorithmen weiter gefördert, da diese bereits vielfach geklickte und gelikte Beiträge vermehrt ausspielten. So entstünden »digitale Winner-take-all-Märkte« [Hervorhebung der Verfasserinnen] (Reckwitz 2017: 253). Mit Blick auf die von Stalder beschriebene Herausbildung von Bedeutung wird deutlich, dass in einer digitalen Welt diejenigen gestalten können, die die Aufmerksamkeit auf sich lenken können.
Ähnlich sieht es aus, wenn man die algorithmischen Auswertungsprozesse von Big Data vor dem Hintergrund der Teilhabe betrachtet. Hier entscheiden einzelne Institutionen bzw. Personengruppen, wie die gesammelten Daten verarbeitet und ausgewertet werden und welche Konsequenzen daraus gezogen werden, ohne dass der Großteil der Bevölkerung Einblick in diese Entscheidungen hat. Damit sitzen diejenigen mit Zugang zu den Daten am längeren Hebel und »erschaffen ein Bild der Welt, das ihren Auslese- und Verarbeitungsoperationen entspricht, von uns aber gern als ein Abbild der Realität verstanden wird« (Mau 2017: 42). Ein Beispiel hierfür ist der erlebbare Rechtsruck der Diskussionen auf der Kommunikationsplattform X (ehemals Twitter), der mit der Übernahme der Plattform durch Elon Musk einhergeht.
Literatur- und Web-Tipp
Spannende Impulse dazu, inwiefern sich trotz der zahlreichen Partizipationsmöglichkeiten, die das Internet mit sich bringt, die Gesellschaft immer stärker in »partikulare Communities« aufspaltet, kann man bei Andreas Reckwitz (2017) nachlesen.
Take Home Messages
- Das Internet ermöglicht umfassende Beteiligung durch Foren, Blogs und Social Media. So können bspw. ethnische Minderheiten sichtbarer werden (vgl. Einheit Medien.Identität).
- Digitale Technologien schaffen Raum für Partizipation unabhängig von Gatekeepern.
- Nicht alle können gleichermaßen partizipieren.
- Unter Digital Divide versteht man die Kluft zwischen Menschen, die Zugang zu digitalen Technologien haben, und denjenigen, die keinen Zugang haben oder weniger von der Nutzung der Medien profitieren können.
- Der Digital Divide betrifft bspw. Personen mit schwachem sozioökonomischem Hintergrund, physischem Zugangsproblem und Unterstützungsbedarf.
- Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz und die inklusive Medienbildung sollen diese Kluft mindern.
- Das Erreichen von Aufmerksamkeit im digitalen Raum verstärkt bestehende Ungleichheiten, insbesondere durch Algorithmen.
2.6 Navigieren durch die Digitale Transformation der Bildung
Die Bedeutung von Medienkompetenz und Medienbildung im Zuge der veränderten Gesellschaft sollte nun deutlich geworden sein. Bildungs(-institutionen) bilden die Grundlage für die Ausbildung dieser Kompetenz und der lebenslangen reflektierten Auseinandersetzung. Entsprechend werden wir nun einen Blick auf die mit der digitalen Transformation einhergehenden Veränderungen in der Bildung werfen.
Die Frage, ob es sich um digitale Bildung oder um Bildung in einer digitalen Welt handelt, verdeutlicht bereits die Vielschichtigkeit des aktuellen Wandels im Bildungsbereich. Verändert sich die Bildung selbst oder muss man sie vor dem Hintergrund einer veränderten Gesellschaft betrachten? Dieser Abschnitt betrachtet in erster Linie die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Bildung am Beispiel der Diskussionen im schulischen Kontext. Diese können aber auch auf andere Bildungskontexte übertragen werden.
Der bereits beschriebene gesellschaftliche Wandel im Zuge der Digitalisierung hat Auswirkungen auf die Bildung. Die aktuelle Debatte um die Neu- bzw. Umgestaltung von Bildung im Kontext der Digitalisierung und der damit verbundenen gesellschaftlichen Veränderungen ist jedoch äußerst vielfältig und zugleich diffus. Diese Vielfalt spiegelt sich bereits in den unterschiedlichen und kontrovers diskutierten Begrifflichkeiten wider, mit denen das »Neue« beschrieben wird. Von digitaler Bildung ist ebenso die Rede wie von Bildung in einer digitalen Welt oder von Bildung in einer Kultur der Digitalität. Auch bei der Betrachtung von formalen (bspw. schulischen) Bildungsprozessen gibt es verschiedene Bezeichnungen, sei es »digital gestützt«, »digital« oder »Unterricht in einer Kultur der Digitalität«. Die Begrifflichkeiten bleiben dabei oftmals ebenso vage wie der Bildungsbegriff selbst (vgl. Heinz 2023). Wie dieser »neue« Unterricht konkret aussehen soll, darüber gibt es derzeit noch wenig wissenschaftliche Erkenntnisse (vgl. Frederking/Romeike 2022: 453). So ist es nicht verwunderlich, dass die Vorstellungen eines veränderten Unterrichts vom Einsatz digitaler Werkzeuge über adaptive (sich anpassende) Lernsoftware bis hin zu einer kompletten Neugestaltung von Bildungsprozessen reichen (vgl. Kerres 2020; Krommer et al. 2019).
Sicher scheint jedoch, dass sich die schulischen Bildungsinstitutionen im Zuge der Transformationsprozesse, die die Digitalisierung mit sich gebracht hat und weiterhin mit sich bringt, verändern müssen (vgl. Heinz 2023).
Bei näherer Betrachtung der Diskussion um die Integration des Digitalen in die Bildung lassen sich zwei Positionen erkennen. Auf der einen Seite wird der Digitalisierung ein innovativer Charakter zugeschrieben, während auf der anderen Seite ein großes Risiko auf Grund des hohen Abhängigkeitspotenzials oder der Möglichkeit der Verschlechterung schulischer Leistungen gesehen wird. Bisherige Studien, die sich mit dem Lernerfolg digitaler Technologien im Unterricht beschäftigen, untersuchen häufig aber nur deren tatsächlichen Einsatz. Unberücksichtigt bleiben dabei didaktische Konzepte des Einsatzes vor dem Hintergrund spezifischer Lernziele oder die Qualität der Nutzung durch die Lernenden. Dass der bloße Einsatz digitaler Medien automatisch zu innovativen Lehr- und Lernwegen führt, ist jedoch ein Trugschluss (vgl. Kerres 2020). Gleichzeitig bieten digitale Medien vielfältige Möglichkeiten der innovativen Gestaltung durch die Lehrenden. Die Einheit Medien.Didaktik wird sich mit der Frage beschäftigen, inwieweit das »Wie« des Einsatzes Einfluss auf den Lernerfolg hat und wie ein erfolgreicher Einsatz gestaltet werden kann.
Digitale Medien bieten in Lehr- und Lernkontexten einerseits die Möglichkeit starker Reglementierung (sie können kontrollierend und regulierend eingesetzt werden und somit der Überwachung bzw. Auswertung dienen). Andererseits können sie im Sinne der Partizipation und der Zugänglichkeit eingesetzt werden und so neue Möglichkeiten der Entfaltung selbstregulierten Lernens schaffen. Als Beispiele könnte man zum einen die Learning Analytics nennen, mit deren Hilfe Lehrende Lernwege ihrer Lernenden – im Sinne der Reglementierung – strukturieren, optimieren und deren Ergebnisse kontrollieren können.
Abb. 2.1: Kontrolle durch digitale Medien.
Quelle: Midjourney, Prompt: student writing an exam on her laptop and watched by various cameras and digital devices, Mai 2024.
Lernende können – im Sinne der Entfaltung – aber auch ihre Lernwege mit Hilfe digitaler Anwendungen selbst gestalten und visualisieren und dabei mit ihrer Peer-Group
Abb. 2.2: Freie Gestaltung der eigenen Lernwege mit Hilfe digitaler Medien.
Quelle: Midjourney, Prompt: pupils talking to each other in small groups sitting around tables using books and digital devices, Mai 2024
Diese beiden Seiten der Medaille schließen sich nicht gegenseitig aus und können auch gemeinsam existieren. Es bietet sich an, je nach Zweck zwischen den beiden Möglichkeiten zu wechseln.
Literatur- und Web-Tipp
Ein Video hierzu ist das folgende von Axel Krommer, in dem er sich für die Neuausrichtung der Bildung vor dem Hintergrund einer digitalen Kultur ausspricht: »New Learning: die ersten 4000 Jahre. Oder: Über das ambivalente Verhältnis von Technik und Pädagogik«: https://www.youtube.com/watch?v=N2uv8SzdgWU
2.7 Digitale Transformation in der Bildung: Die Diskussion über neue Lernziele
»Unsere Schulen müssen sie [die Kinder] auf Jobs vorbereiten, die es heute noch nicht gibt, auf Technologien, Apps und Anwendungen, die heute noch nicht erfunden worden sind, darauf, in einer Gesellschaft zu leben, deren Strukturen wir heute nicht absehen können, und darauf, mit Herausforderungen umzugehen, die heute noch nicht erkennbar sind.» (Ehlers 2020: 2)
Neben der Herausforderung der Integration digitaler Medien in Bildungsprozesse, erfordern die Digitalisierung und die damit einhergehenden gesellschaftlichen Veränderungen, wie sie in dieser Einheit bereits beschrieben wurden, neue Fähigkeiten. Diese werden bspw. als Future Skills beschrieben, bei denen die Digitalkompetenz einen hohen Stellenwert hat. Unter Digitalkompetenz wird die Fähigkeit verstanden, »[…] digitale Medien zu nutzen, produktiv gestaltend zu entwickeln, für das eigene Leben einzusetzen und reflektorisch, kritisch und analytisch ihre Wirkungsweise in Bezug auf die Einzelne/den Einzelnen und die Gesellschaft als Ganzes zu verstehen sowie die Kenntnisse über die Potenziale und Grenzen digitaler Medien und ihrer Wirkungsweisen« (Ehlers 2020: 85).
Im schulischen Kontext ist die Frage, an welcher Stelle im Lehrplan die geforderten Kompetenzen gefördert werden sollen, noch ungeklärt. So wird vielerorts ein eigenständiges Fach wie bspw. Medienbildung gefordert, wohingegen andere Positionen fordern, dass die entsprechenden Kompetenzen nicht als bloßes Add-on vermittelt werden dürften.
Zusätzlich sollten fachspezifische Kompetenzen betrachtet werden und überlegt werden, inwieweit sich diese auf Grund der digitalen Transformation verändern (vgl. Kerres 2020; Frederking/Romeike 2022). So ergeben sich bspw. durch digitale Textformen mit Hyperlinks neue Herausforderungen bezüglich des Textverständnisses oder durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz in der Biomedizin neue ethische Fragestellungen.
Diesen Überlegungen liegt ein Bildungsverständnis zugrunde, das Bildung definiert »[…] als ein reflektiertes Verhältnis des Menschen zu den Dingen, zu den Anderen und zu sich: als ein Sich-ins-Verhältnis-Setzen zur Welt« (Kerres 2020: 19). Damit würde sich Bildung letztendlich nicht verändern, da weiterhin das Verhältnis im Fokus stünde, allerdings vor dem Hintergrund der veränderten Gesellschaft (vgl. ebd.).
Gemein ist den Überlegungen, dass zukünftige Generationen mit den neuen Herausforderungen, die durch die digitale Transformation hervorgerufen werden (bspw. Informationsflut, Vernetztheit, Ambivalenz, Unberechenbarkeit etc.) umgehen können müssen und Bildungsinstitutionen auf die Bewältigung dieser Herausforderungen vorbereiten sollten.
Kerres (2020) fordert hierfür den Fokus auf folgende Kompetenzen zu legen:
- Wissen über Medien
- Funktionen verstehen
- Medien nutzen
- Mit Informationen umgehen
- Medien gestalten
- Eigenes Medienverhalten reflektieren
- Gesellschaftliche Implikationen bewerten
Abb. 2.3: Kompetenzen in der digitalen Welt.
Quelle: Kerres (2020), CC-BY-SA.
2.8 Von neuen Zugängen zum Wissen und einer Informationsflut
Exemplarisch schauen wir an dieser Stelle den Umgang mit Informationen konkreter an. Die neuen Zugänge zu Informationen und Wissen, die bereits im Zuge der gesellschaftlichen Veränderungen thematisiert wurden, spielen auch für das Lernen – und damit für die Bildung – eine große Rolle. Diese neuen Formen der Informationsbeschaffung, bspw. über Wikipedia oder soziale Plattformen wie YouTube etc., steigern den Stellenwert des informellen Lernens, also des Lernens außerhalb eines formellen Kontextes wie schulischen Institutionen, immens. Gleichzeitig erfordert die Menge an Informationen zum einen, dass zu einem bestehenden Problem eine passende Frage an das Internet formuliert werden muss, um die benötigte Lösung zu bekommen. Zum anderen müssen die angebotenen Informationen (die bereits durch einen Algorithmus vorausgewählt wurden) hinsichtlich der Nutzbarkeit und des Wahrheitsgehalts eingeordnet und ausgewählt werden (siehe Einheit Medien.Rezeption). Döbeli Honegger (2017) spricht hier von Filterkompetenz, die jede Person zusätzlich zu technischen Filtermöglichkeiten benötigt. In Zeiten der Sprach-KIs (Large Language Models) tritt zusätzlich eine weitere Fähigkeit hinzu – das richtige Prompten, also die Fähigkeit, dem KI-System die richtigen Befehle zu geben, um die zu bearbeitende Aufgabe bestmöglich zu lösen. Dabei ist ein produktiver Umgang mit Wissen relevanter als das Wissen an sich, da dies für jeden abrufbar verfügbar ist. War zuvor ein großes Allgemeinwissen bzw. ein besonders ausgeprägtes Spezialwissen gefragt, so ist es nun Vielseitigkeit (vgl. Reckwitz 2017).
Dies verdeutlicht, warum Schulen und andere Bildungsinstitutionen weiterhin einen wichtigen Stellenwert besitzen, da dort die dafür benötigten Kompetenzen entsprechend gefördert und grundlegendes Orientierungswissen vermittelt werden kann (vgl. Heinz 2023; Döbeli Honegger 2017).
2.9 Zuspitzung Bildungsgerechtigkeit als zentrales Thema der Herausforderung
Mit Fokus auf die Herausforderungen der digitalen Welt für Bildung ist nun ein gemeinsamer Blick auf den Aspekt der Bildungsgerechtigkeit von großer Bedeutung. Dabei kann es der vorliegende Kurs nicht leisten, den vollständigen Diskurs zu Bildungs(un)gerechtigkeit, deren Entstehung und deren Bearbeitung darzustellen. Vielmehr sollen auch hier Denkanstöße für eine mögliche weitere Auseinandersetzung gegeben werden. Die Überlegungen schließen dabei an die des Digital Divide (siehe oben und siehe Einheit Medien.Identität) an.
Vor dem Hintergrund der Digitalisierung ist Bildungsgerechtigkeit weiteren neuen Ungleichheitsdimensionen ausgesetzt. Diese betreffen bspw. die Informations- und Kommunikationstechnologien und die digitalen Kompetenzen, die, so Heinz, bei Kindern aus sozioökonomisch schwächeren Verhältnissen weniger ausgebildet sind als bei anderen (vgl. Heinz 2023). Außerdem unterscheiden sich der Zugang zu digitalen Endgeräten, das Nutzungsverhalten sowie das Ziel der Gerätenutzung. Die bislang bestehende Bildungsungleichheit reproduziert sich in einer digitalen Welt. Daraus folgt zum einen die Notwendigkeit der Sensibilisierung von Akteur*innen der institutionellen Bildung sowie der Versuch der Schaffung von gerechteren Zugangsmöglichkeiten zu technischen Geräten wie auch zum Kompetenzerwerb. Hier bedarf es besonderer Unterstützung der Kinder aus sozioökonomisch weniger privilegierten Elternhäusern (vgl. Heinz 2023).
Take Home Messages
- Der gesellschaftliche Wandel durch die Digitalisierung beeinflusst die Bildung, wobei aktuell noch unterschiedliche Begrifflichkeiten mit differierender Bedeutung verwendet werden.
- Die Debatte um den Einsatz digitaler Technologien im Bildungskontext zeigt sowohl Chancen wie Risiken auf.
- Die Positionen zur Integration des Digitalen in die schulische Bildung sind kontrovers, mit Forderungen nach eigenem Fach und integrierter Vermittlung.
- Fachspezifische Kompetenzen müssen auf Grund der digitalen Transformation neu betrachtet und entsprechend erweitert werden.
- Bildungsgerechtigkeit in der digitalen Welt steht vor neuen Herausforderungen, besonders im Hinblick auf den Digital Divide und den Zugang zu Technologien.
2.10 Fazit
Fassen wir diese Einheit Medien.Gesellschaft noch einmal zusammen. Digitale Technologien durchdringen alle Lebensbereiche und spielen oft eine entscheidende Rolle. Lebenslange Medienkompetenz ist daher von zentraler Bedeutung und sollte für jeden Menschen eine hohe Priorität haben. Soziale Medien, Videoplattformen und die dort geteilten Inhalte können die persönliche Identität maßgeblich prägen und dienen gleichzeitig als Plattformen, um sich der Gemeinschaft zu präsentieren. Die Digitalisierung ermöglicht die Automatisierung zahlreicher Prozesse, von Chatbots, die bei Bankgeschäften beraten, bis hin zu Smart Homes, die Paketzusteller*innen während der Arbeitszeit in die Wohnung lassen. Digitale Medien, insbesondere das Internet, vernetzen die Welt immer stärker. Informationen sind blitzschnell online verfügbar. Dabei ist es wichtig, immer den Wahrheitsgehalt zu prüfen und zu bedenken, dass Algorithmen die Informationen vorfiltern. Unternehmen sammeln durch Data Tracking umfangreiche Daten (Big Data) über jede*n Einzelne*n, um sie für ihre eigenen Interessen zu nutzen, z.B. für personalisierte Werbung. Damit steigt auch die Bedeutung von Messbarkeit und Zahlen, ohne dass der*die Einzelne die genauen Zusammenhänge erkennen kann. Datenkompetenz wird so zu einer Schlüsselkompetenz.
Digitale Medien und das Internet bieten einerseits vielfältige Möglichkeiten, sich an Diskursen ohne direkte Gatekeeper zu beteiligen. Andererseits vertieft sich die gesellschaftliche Spaltung, da nicht alle Menschen gleichermaßen Zugang zu digitalen Medien haben oder diese unterschiedlich nutzen können. Zudem lenken Algorithmen die Aufmerksamkeit auf Menschen, die ohnehin schon viel Aufmerksamkeit erhalten, und verstärken so die Spaltung. Die Auswirkungen auf formale Bildungsprozesse sind derzeit noch schwer abzuschätzen. Es gibt Bestrebungen, das Lernen stärker zu regulieren, z.B. durch adaptive Lernsysteme, die stark regulierte individuelle Lernprozesse fördern. Auf der anderen Seite wird auch diskutiert, den Fokus auf eine freiere Gestaltung von Bildungsprozessen zu legen. Allen Diskussionen gemeinsam ist die Überlegung, dass zukünftige Generationen mit den neuen Herausforderungen des digitalen Wandels (z.B. Informationsflut, Vernetzung, Ambivalenz, Unvorhersehbarkeit etc.) umgehen können müssen und Bildungsinstitutionen darauf vorbereitet sein sollten.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die digitale Entwicklung den Alltag durchdringt, die Art und Weise des Lernens und des Informationskonsums verändert und gleichzeitig gesellschaftliche Herausforderungen verstärkt. Es ist daher von entscheidender Bedeutung, sich bewusst mit den Chancen und Risiken der digitalen Transformation auseinanderzusetzen und die notwendige Medienkompetenz zu entwickeln.
2.11 Verwendete Quellen
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