Kolonialismus, Krieg und Diktatur. Gewalterfahrungen in der deutschsprachigen Literatur nach 1945
Résumé de section
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„Die Ästhetik des Widerstands“ von Peter Weiss erschien zwischen 1975 bis 1981 in drei Bänden und ist wie Uwe Johnsons fast in der gleichen Zeit entstehender Roman „Jahrestage. Aus dem Leben der Gesine Cresspahl“ ein Versuch, die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts zu erzählen: Hier, bei Peter Weiss, einerseits konzentriert auf die Zeit des Nationalsozialismus und des europäischen Faschismus, andererseits aber ausgeweitet zu einer umfassenden Geschichtsdeutung.
Diese versucht eine humanistische Gegengeschichte zur ‚großen‘, von den Mächtigen proklamierten Sicht auf die Geschichte und die Gewalt in ihr darzustellen, wie sie sich von ihren geschichtlichen Anfängen bis ins 20. Jahrhundert hinein immer wieder und auch in den verschiedenen Kulturen gezeigt hat, mit der Vernichtung der europäischen Juden durch die Nationalsozialisten aber ein monströses Ausmaß erreichte, für die Peter Weiss 1965 in seinem Dokumentartheaterstück „Die Ermittlung. Ein Oratiorium in 11 Gesängen“ und in seinem Essay „Meine Ortschaft“ Möglichkeiten der Darstellung und des Erinnerns gesucht hat.
Gegen Gewalt, politische Unterdrückung und soziale Ausbeutung, die für den Marxisten Weiss aus der globalen kapitalistischen Wirtschaftsweise resultierte, soll eine widerständige, eine Gegen-Geschichte der Erinnerung, des Eingedenkens und der Befreiung erzählt werden. Für deren Offenlegung, Verdeutlichung und Ermöglichung bedarf es für Weiss der Werke der Kunst und Literatur. Wichtige Beispiele sind der Pergamon-Fries im Berliner Pergamon-Museum, Dante Aligheris „Göttliche Komödie“, Théodore Géricaults „Das Floß der Medusa“ oder Pablo Picassos Gemälde „Guernica“. Die Kunstwerke enthalten Momente, Potenziale, Energien, Aussagen, die – als eine Ästhetik, einer Kunstlehre in ihren Praktiken des Widerstands – diese Gegendarstellung zur Geschichte entfalten lassen. So wird die Handlung des Romans, die den Werdegang sozialistischer Widerstandskämpfer in der NS-Diktatur zeigt, immer wieder durchbrochen von detaillierten Auseinandersetzungen mit Kunstwerken und literarischen Texten, die diese auf ihren geschichtlichen Gehalt an der Möglichkeit zur Darstellung und Praxis politischen Widerstands hin befragen.
Unsere Textauswahl widmet sich einigen dieser zentralen Passagen zur Bestimmung der Kunst und ausgehend von ihnen der Frage, wie sich mit ihnen und ihrer Reflexion Geschichte erzählen lässt.
Lothar van Laak
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