Transformationen der dramatischen Form 1800-1900
Topic outline
- Überblick
- Evaluation
- Historische Kontextualisierung
- I. Friedrich Schillers „Maria Stuart“
- II. Johann Wolfgang Goethes „Faust I/II“
- III. Heinrich von Kleists „Die Hermannsschlacht“
- IV. Christian Dietrich Grabbes „Napoleon oder Die hundert Tage“
- V. Georg Büchners „Woyzeck“
- VI. Johann Nestroys „Freiheit in Krähwinkel“
- VII. Friedrich Hebbels „Maria Magdalena“
- VIII. Gerhart Hauptmanns „Der Biberpelz“
- IX. Arthur Schnitzlers „Reigen“
- Das Gesamtkunstwerk im 19. Jahrhundert
- Abschluss: Kursübergreifende große Schreibaufgaben
- Literaturverzeichnis
- Impressum
- Einstieg
- Vor der Lektüre
- Naturalistisches Drama
- Dialektalität
- Milieu
- Dramenschluss
- Übersicht Abgaben
-
-
Klicken Sie hier, um sich den Einführungstext vorlesen zu lassen.
-
„Der Biberpelz“ hat – und das ist typisch für einen naturalistischen Autor wie Gerhart Hauptmann – die unverfälschte Darstellung der sozialen Realität zum Thema, hier allerdings auf komödiantische Art und Weise. In einer „Diebskomödie“, wie das Stück im Untertitel heißt, wäre dabei traditionell eigentlich eher mit stark typisierten Figuren zu rechnen. Der „Biberpelz“ bricht allerdings, zumindest teilweise, mit dieser Konvention: Die resolute und bauernschlaue „Mutter Wolff“, zentrale Figur einer Berliner Familie der 1880er Jahre, ist stets auf den Ruf, das Wohl und den Vorteil ihrer Angehörigen bedacht und schreckt dabei auch nicht vor Manipulation und Diebstahl zurück. Auch andere tragende Figuren wie der Amtsvorsteher von Wehrhahn sind charakterlich stärker ausgeformt und tragen – in Abgrenzung zum distanzierten ‚Verlachen‘ typisierter Figuren – gerade in ihrer Wirklichkeitsbezeugung zu einem tiefergehenden, das heißt die Spielstruktur beherrschenden, Witz des Stücks bei. In der Forschung wird daneben im „Biberpelz“ allerdings gleichzeitig von einer „Renaissance des Schelms“ gesprochen (vgl. Wagener 1985/86), der ja traditionell eine typisierte Figur ist. Aber auch wenn „Mutter Wolff“ in ihrer grundlegenden Konzeption an die Schelmenfigur des Picaro-Romans angelehnt ist, agiert sie im Wesentlichen als raffinierte Spielemacherin und wird aus Identifikationszwecken zur Person aufgehöht (vgl. Oberemdt 1987, S. 143-152). Schon anlässlich der Uraufführung 1893 am Deutschen Theater in Berlin stellten zeitgenössische Besprechungen diesen Wandel in Anlage und Funktion des Dramenpersonals fest: „Was aber bei Gerhart Hauptmann modern ist, das ist die Art seiner Komik. Die Komik dieser Hauptmannschen Possenfiguren fließt aus ihrem Charakter. In Ihnen werden uns ganze runde Persönlichkeiten gegeben.“ (Otto Neumann-Hofer im Berliner Tageblatt am 22. September 1893) Situations-, Sprach- und Charakterkomik werden im „Biberpelz“ auf prototypische Weise künstlerisch synthetisiert, die breite Darstellung des gesellschaftlichen Lebens sollte kurze Zeit später aber noch einmal übertrumpft werden: 1901 folgte mit der Uraufführung von „Der rote Hahn“ ein Fortsetzungsstück, das zwar im gleichen beliebten Milieu mit „Mutter Wolff“, ihren Töchtern und dem Amtsvorsteher Wehrhahn angesiedelt ist, allerdings nicht mehr an den Bühnenerfolg des Vorgängers anknüpfen konnte.
Mit dem „Biberpelz“ lernen Sie ein Stück des Nobelpreisträgers von 1912 kennen, das im heutigen Forschungsdiskurs nur noch selten Berücksichtigung findet. Zu den stärker frequentierten Texten des Autors zählen etwa die 1888 erschienene Erzählung vom phlegmatischen „Bahnwärter Thiel“, das 1892 erschienene und seinerzeit sehr erfolgreiche Drama „Die Weber“ (auch in schlesischer Dialektfassung als „Die Waber") oder das in gleicher Weise erfolgreiche wie skandalträchtige soziale Drama „Vor Sonnenaufgang“, das 1899 erschienen ist.
Als Textgrundlage dieses Kurses dient die 2017 im Reclam-Verlag erschienene Ausgabe des „Biberpelz“.
-