Transformationen der dramatischen Form 1800-1900
Тематический план
- Überblick
- Evaluation
- Historische Kontextualisierung
- I. Friedrich Schillers „Maria Stuart“
- II. Johann Wolfgang Goethes „Faust I/II“
- III. Heinrich von Kleists „Die Hermannsschlacht“
- IV. Christian Dietrich Grabbes „Napoleon oder Die hundert Tage“
- V. Georg Büchners „Woyzeck“
- VI. Johann Nestroys „Freiheit in Krähwinkel“
- VII. Friedrich Hebbels „Maria Magdalena“
- VIII. Gerhart Hauptmanns „Der Biberpelz“
- IX. Arthur Schnitzlers „Reigen“
- Das Gesamtkunstwerk im 19. Jahrhundert
- Abschluss: Kursübergreifende große Schreibaufgaben
- Literaturverzeichnis
- Impressum
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Arthur Schnitzlers „Reigen“, 1897 entstanden und rückblickend das erfolgreichste Bühnenstück des Autors, thematisiert in zehn Dialogen heterosexuelle Begegnungen zwischen Figuren unterschiedlichster Gesellschaftsschichten. Das Drama spielt in Wien, wie neben der Sprache auch zahlreiche lokale Reminiszenzen erkennen lassen. Insbesondere um die Jahrhundertwende galt Wien als zentrale ‚Stadt der Erotik und Sexualität‘, und Schnitzler zählt zu den prominentesten Vertreter:innen der sogenannten Wiener Moderne – einer Kunstströmung der Klassischen Moderne, die das Kulturleben in der österreichischen Hauptstadt zum Thema hat bzw. deren Autor:innen aus Wien stammen. Die Werke thematisieren häufig die Infragestellung eines autonomen Subjekts, das sich von bestehenden Werterastern wegbewegt und verschiedene Formen von Ich- bzw. Sinnsuche durchlebt. Die Zeit um 1900 ist durch eine Vielzahl an Epochenbezeichnungen bzw. parallelen Kunstströmungen gekennzeichnet, weswegen Sie den „Reigen“ in der Forschung zum Beispiel auch der Décadence zugerechnet finden (etwa bei Delianidou 2003).
Jede Figur ist im Stück zweimal Teil von jeweils anders zusammengesetzten erotisch-sexuellen Treffen, die neben Verführung, Versuchung, Zärtlichkeit und Begehren auch durch Macht, Ironie, Melancholie und Ernüchterung gekennzeichnet sind. Es ist aus heutiger Perspektive vor dem Hintergrund medialer Omnipräsenz von Sexualität zwar nur noch schwer vorstellbar, aber das Stück und insbesondere seine Aufführungen haben seinerzeit große Skandale ausgelöst (vgl. dazu ausführlich Pfoser et al. 1993). Für die erste Teilaufführung 1903 in München, bei der nur einzelne Szenen gespielt wurden, konnten vor geschlossener Gesellschaft ausschließlich Mitglieder der inszenierenden Institution des Akademisch-dramatischen Vereins München Karten erwerben, was mit einer eintägigen Mitgliedschaft einherging. Der Verein hat sich nach zahlreicher Kritik anschließend aufgelöst, wie Schnitzler am 4. Dezember 1903 in seinem Tagebuch vermerkt. Die Wiener Uraufführung des gesamten Stücks 1921 wurde zwar kurzfristig per Verfügung untersagt, fand aber dennoch statt und zog im Folgenden mehrere Prozesse nach sich. Arthur Schnitzler war überhaupt ein streitbarer Autor: Bereits seine 1900 erschienene Novelle „Lieutenant Gustl“ (die erste deutschsprachige Erzählung, die durchgängig als innerer Monolog geschrieben ist) und die 1912 erschienene Komödie „Professor Bernhardi“, deren Protagonist Opfer einer antisemitischen Kampagne wird, handelten ihm Probleme mit der Zensurbehörde ein – wegen „Lieutenant Gustl“ wurde ihm sogar der Offiziersrang der österreichischen Reservearmee aberkannt. Schnitzler verbot nach einigen Krawallen schließlich selbst weitere Aufführungen seines „Reigen“. Erst 1982, 51 Jahre nach seinem Tod, kam es nach lange ersehnter Freigabe bereits am frühen Neujahrsmorgen in Basel erstmals wieder auf die Bühne.
Zensur und Verbote erzielen in der Praxis nur selten den gewünschten Effekt, nämlich, das Verfemte dem Vergessen anheimfallen zu lassen. Es ist daher nicht verwunderlich, dass auch Schnitzlers Stück während dieser Zeit und bis in die Gegenwart hinein vielfach künstlerisch rezipiert und bearbeitet wurde (vgl. Schneider 2008), etwa in zahlreichen literarischen Parodien (vgl. Schneider 2005) und Verfilmungen (vgl. Schneider 1995).
Als Textgrundlage dieses Kurses dient die 2014 im Reclam-Verlag erschienene „Text und Kontext“-Ausgabe des „Reigen“.
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