Liebe, Höfische Kultur und Herrschaft 1100-1600
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Höfische Liebe (oder höfische Minne) wird in vormoderner höfischer Literatur nicht nur als exklusive Bindung zwischen zwei Figuren entworfen, die im Text mit reflexiven, emotionalen und auch körperlichen Dimensionen inszeniert wird; zugleich steht höfische Liebe immer auch für soziokulturelle (höfische) Werte. Das heißt, sie wird nicht nur als Beziehungstyp konzipiert, sondern – weit umfassender – als Kulturmodell, das in literarischen Texten imaginiert und verhandelt wird. Unter Kulturmodell wird hier eine historisch spezifische Verbindung von Orientierungswissen, Interaktionsmustern und Ausdrucksweisen verstanden. Höfische Liebe wird in den Texten in einer bewussten Widersprüchlichkeit entworfen: Einerseits kann sie als ‚Kunst‘ aufgefasst werden, die beherrscht und regelgeleitet perfektioniert werden kann, andererseits als eine auf den Menschen von außen gewaltsam einwirkende Macht, die sich jeder Ordnung entzieht. Die unbedingte, absolut gesetzte und exklusive Liebesbindung kann einerseits in Konflikt mit sozialen Normen geraten, andererseits ist höfische Liebe selbst ein hoher sozialer Wert, so dass sich durch die ‚richtige‘ Art des Liebens (durch ‚triuwe‘ und ‚staete‘) Vervollkommnung erreichen lässt. Für mittelalterliche höfische Literatur wäre es also gerade falsch und irreführend, ‚Liebe‘ bzw. ‚individuelles Glück‘ in eine schlichte Opposition zu ‚Gesellschaft‘ zu bringen. Mit der Thematisierung der Ehe (in höfischen Romanen immer die Adelsehe) hat der höfische Liebesdiskurs zunächst einmal nichts zu tun; ‚Ehe‘ als literarisches Sujet hat seinen Ort vielmehr im Herrschaftsdiskurs (s. die einführende Erläuterung in 3.5 „Feudaladelige Herrschaft und Geschlechterordnungen“). Das Thema höfischer Liebe ist besonders eng auf die Potenziale der literarischen Sprache und Rhetorik bezogen und nicht von ihnen ablösbar. Das wird schon daran deutlich, dass es nicht das ‚eine‘ Konzept höfischer Liebe gibt, vielmehr wird sie in den Texten immer wieder neu verhandelt – und die Vorgaben bzw. der Horizont für diese Aushandlungen sind je nach Gattung sehr unterschiedlich: in höfischen narrativen Texten ganz anders als im Minnesang (Minnelyrik), und im Minne- und Aventiureroman anders als z.B. im Artusroman.
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Bitte lesen Sie als kurze Einführung hierzu:Armin Schulz, Erzähltheorie in mediävistischer Perspektive, S. 53-63 (2.3.4.2 Höfische Minne) und 112-117 (2.3.5.5 Zur Thematisierung von Affekten).
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Erarbeiten Sie sich bitte in gründlicher und intensiver Lektüre des mittelhochdeutschen Textes (nicht der Übersetzung) die folgenden Textpassagen: v. 1-146: Prolog; v. 589-844: ‚Kinderliebesidylle‘; v. 1051-1365: Abschiedsszene (Dialog/ Klagemonolog, erster Selbstmordversuch, Griffeltausch); v. 1731-1866 und 2227-2444: Klagemonologe und zweiter Selbstmordversuch; v. 2951-3209: Versunkenheitsmotiv; v. 3719-3870: Streit zwischen Minne und Wîsheit.
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Höfische Liebe – Begehren – AffektspracheReflektieren Sie sich selbst in Ihrer Lektüreerfahrung und diskutieren Sie in der Gruppe: Inwiefern nehmen Sie Aspekte der Textpassagen als ‚fremd‘ wahr, was sagt dies über unterschiedliche kulturelle Prägungen von ‚Liebe‘, ‚Affekt‘ etc. (der im Text versprachlichten Vorstellungen und Ihrer eigenen)? Sie sollten sich dabei immer wieder bewusst machen, dass Ihre eigenen, subjektiven Vorstellungen von ‚Liebe‘, ‚Emotionalität‘ etc. von der heutigen Zeit und Kultur geprägt sind und daher mit den Konzepten, die die Texte entfalten, nicht sehr viel zu tun haben werden. Auf welche Weise wird also für Sie kulturelle Fremdheit beobachtbar? Achten Sie dabei darauf, Wertungen zu vermeiden. (Alle angegebenen Textpassagen, bes. die Kinderliebesidylle, Abschiedsszene, Klagemonologe.)
Wichtig: Die Erarbeitung dieser Diskussionsfrage ist Voraussetzung für die Erarbeitung der großen Schreibaufgabe zu „Flore und Blanscheflur“ (s. Tab 7., Große Schreibaufgabe).“
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