„[W]o immer die
Pioniere der modernen Literatur zu neuen Ufern vorstießen, fanden sie im
Sand die Fußspur schon vor, deren leicht schwankendes Schrittmaß ihnen
signalisierte: Grabbe was here“ (Jauslin 1990, S. 47). So schreibt Kurt Jauslin über Christian Dietrich Grabbe, dessen literarisches
Werk seinerzeit zwar wenig wertgeschätzt, aber im 20. Jahrhundert von
Vertreter:innen des Expressionismus’ und Surrealismus’ wiederentdeckt bzw.
vereinnahmt wurde. Bertolt Brecht führte ihn in Abgrenzung zum expressionistischen Theater
als Wegbereiter des epischen Theaters an. Grabbes Werk wurde in vielerlei Weise
gedeutet, so auch vom Reichsdramaturgen Rainer Schlösser, der die erst 1934
uraufgeführte „Hermannsschlacht“ (1835-1836) Grabbes im nationalsozialistischen Sinne inszenierte
(vgl. Löb 1996, S. 129).
Grabbes Dramen
wurden, mit Ausnahme des „Doan Juan und Faust“ (1829), zu seinen Lebzeiten
nicht aufgeführt. Das ist primär dadurch zu erklären, dass Grabbe mit der
Konzeption seiner Dramen die technischen Möglichkeiten der damaligen Bühnen
überforderte. Die recht häufig auftauchenden Massenszenen entsprechen eher einer
„filmischen Optik“ (Wiemer 1996, S. 33). Dies ist auch bei dem größten
Geschichtsdrama Grabbes „Napoleon oder Die hundert Tage“ zu beobachten, welches
erst 64 Jahre später in Frankfurt am Main uraufgeführt werden konnte. Im Grunde
konnten Regieanweisungen, wie sie im „Napoleon-Drama“ zu finden sind, erst in Kriegsfilmen des 20.
Jahrhunderts umgesetzt werden (vgl. ebd., S. 37).
Im Vorwort zu diesem
Drama spricht Grabbe davon, es im Jahr 1830 vor der Julirevolution
fertiggestellt zu haben. Allerdings nahm er noch kleine Änderungen vor, sodass
das Stück erst 1831 gedruckt werden konnte. Die Dialoge sind fiktiv, aber
Grabbe hat die historischen Ereignisse des Stücks zuvor ausführlich
recherchiert. Herangezogen hat er zu diesem Zweck zum Beispiel
Karl Venturinis „Chronik des neunzehnten
Jahrhunderts“ (1807-1841). Inhaltlich beginnt das Stück 1815 mit der Rückkehr
Napoleons von Elba nach Paris, thematisiert den Sieg über die
preußisch-englische Allianz bei Ligny und endet mit der Niederlage bei
Waterloo. Die gesamte Handlung erstreckt sich über 25 Szenen und 20
verschiedene Schauplätze
mit einem Umfang von ca. 170 Sprecherrollen. Dabei tritt Napoleon nur in sieben
Szenen selbst auf. Als Grundlage greifen Sie bitte auf den Text aus der
„Historisch-kritischen Gesamtausgabe“ (1963) zurück, den Sie im 2. Band finden.