Dramaturgie der Geschlechter. Heldinnen der Komödien und Trauerspiele 1600-1800
Diagrama de temas
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Johann Elias Schlegel war seinerzeit ein sehr bekannter Theaterschriftsteller, gilt heute aber praktisch als vergessen. Sein 1747 entstandenes Stück „Die stumme Schönheit“, das von einer Verwechslungsintrige zweier Töchter im bürgerlichen Milieu handelt, widmete er dem neugegründeten Theater in Kopenhagen, wo es aufgrund einer fehlenden Übersetzung ins Dänische jedoch nicht zur Aufführung kam (vgl. Beckmann 2016, S. 397). Das Stück steht wirkungsgeschichtlich für ein interessantes Zwischenstadium innerhalb der Entwicklung des deutschsprachigen Dramas: Schlegel wendet sich hier bereits wieder von den dramenpoetologischen Vorstellungen Gottscheds ab, behält aber, etwa im Personal und in der Anlage der Handlung, die typischen Merkmale der Komödie bei (vgl. Greiner 2006, S. 142). Schlegels Stück ist in Alexandrinern verfasst und gereimt. Dieses Versmaß verleiht dem Lustspiel nicht nur einen besonderen sprachlichen Witz, sondern weist auch auf weitergehende Reflexionen über die zeitgenössische Dramenpraxis hin.
Im Kern handelt „Die stumme Schönheit“ davon, wie Konversation, insbesondere zwischen den Geschlechtern, gelingen kann und welche Regeln hier gelten, sodass die Sprache selbst zum Handlungsträger wird (vgl. Greiner 2006, S. 147). So soll Charlotte, die schöne, aber nicht sonderlich redegewandte mutmaßliche Tochter Richards, dessen Freund Jungwitz, der das Denksystem der Aufklärung repräsentiert, heiraten. Ihre ‚Verstocktheit‘ bringt den Verdacht auf, sie verfüge über wenig Verstand und sei, schlimmer noch, nicht ‚vernünftig‘ im aufklärerischen Sinn. Über diesen Konflikt wird die Bühne zum Reflexionsort von gesellschaftlicher (Selbst-)Inszenierung der Geschlechter und ihrer Beziehungen zueinander im Medium der scheiternden oder gelingenden Konversation. Anhand von Szenen wie jener, in der die eigentliche Tochter Richards Leonore, die ungezwungen zu sprechen vermag, die stumme Charlotte zum „Medium“ ihrer Worte macht und ihr die Antworten auf Jungwitz’ Fragen einflüstert, lässt sich Schlegels Lustspiel auf mehreren Ebenen als Text über das Theater und die Schauspielerei charakterisieren. Diese Reflexion wird vor allem an die weiblichen Figuren, besonders Charlotte und Leonore, aber auch Frau Praatgern und das Dienstmädchen Catherine, gebunden. Ihre expliziten Sprechakte über ‚Konversation‘ und ihre Einstellungen zu ‚weiblichem‘ Auftreten und Verhalten spielen dabei ebenso eine Rolle wie implizite Reaktionen auf die „Ansichten“ der Männer darüber, wie Frauen zu sein haben. Zwischen den Generationen gibt es dabei signifikante Unterschiede; Frau Praatgern und Herr Richard wirken mit ihrem Erziehungsstil bzw. seiner Vorstellung von einer „guten Ehefrau“ nicht unwesentlich auf die Paarfindung ein.
Schlegel versucht sich in seinem Lustspiel am „Entwurf eines neuen Frauenbildes“ (Greiner 2006, S. 143) und modelliert zugleich eine Lösung für die Konflikte im Stück, bei der auch die weniger tugendhaften, durch Schwächen charakterisierten Figuren, die bisher eher dem Verlachen preisgegeben wurden, einen Platz in der Gemeinschaft erhalten (vgl. Beckmann 2016, S. 498). Das Stück zielt zwar auf die komödiantische Erheiterung des Publikums, will aber nicht durch die Verurteilung von Schwächen moralisch belehren, sondern wirbt für Verständnis, vor allem in der Kindergeneration. Gerade in der Integration aller Beteiligten, also auch derjenigen, deren Verhalten von den aufklärerischen Idealen abweicht, sieht etwa Bernhard Greiner den „besondere[n] Gewinn dieses Stücks für die Geschichte der Aufklärungskomödie [...].“ Und weiter heißt es bei ihm: „In die Rede ist die Nicht-Rede integriert, in das Maß das Unvermögen zum Maß. Diese Integrationsleistung wird zum grundlegenden Anliegen, aber auch zur abgründigen Frage in der zwanzig Jahre später erscheinenden Minna von Barnhelm werden, dann aber auf die zentralen Werte des Jahrhunderts bezogen, d.h. auf den Verstand (und mit diesem auf die Anforderungen der äußeren sozialen Existenz) und auf das Herz.“ (Greiner 2006, S. 148) Mit Schlegels Stück lernen Sie also auch ein wichtiges Bindeglied zwischen den Dramen der frühen Aufklärung und dem Bürgerlichen Trauerspiel kennen. „Die stumme Schönheit“ war sehr erfolgreich und wurde in den Jahren nach der Uraufführung 1754 mehrfach an allen wichtigen deutschen Bühnen gespielt (vgl. Beckmann 2016, S. 407f.). Gotthold Ephraim Lessing nennt das Stück in seiner „Hamburgischen Dramaturgie“ gar „unstreitig unser bestes komisches Original, das in Versen geschrieben ist.“ (Lessing 1801, S. 101).
Alexander Wagner
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Textgrundlage:
Johann Elias Schlegel: Die stumme Schönheit, in: Lustspiele der Aufklärung in einem Akt, hg. v. Georg-Michael Schulz, Stuttgart: Reclam 1986, S. 41-77.
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