Dramaturgie der Geschlechter. Heldinnen der Komödien und Trauerspiele 1600-1800
Kursthemen
- 1. Überblick
- 2. Theoretische Grundlagen
- 3. Daniel Caspar von Lohenstein: „Sophonisbe“
- 4. Andreas Gryphius: „Catharina von Georgien“
- 5. Dramenpoetologie
- 6. Luise Adelgunde Victorie Gottsched: „Die Pietisterey im Fischbein-Rocke“
- 7. Johann Elias Schlegel: „Die stumme Schönheit“
- 8. Christian Fürchtegott Gellert: „Die zärtlichen Schwestern“
- 9. Gotthold Ephraim Lessing: „Miß Sara Sampson“
- 10. Gotthold Ephraim Lessing: „Minna von Barnhelm“
- 11. Johann Wolfgang Goethe: „Stella“ (Fassung 1775)
- 12. Heinrich Leopold Wagner: „Die Kindermörderin“
- 13. Johann Wolfgang Goethe: „Iphigenie auf Tauris“ (Fassung 1787)
- Literaturverzeichnis
- Impressum
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Bartlomiej Strobel: Porträt von Martin Opitz, ca. 1636
(Public Domain)Die Trauerspiele von Daniel Casper von Lohenstein und Andreas Gryphius setzen die Tragödientheorien des 17. Jahrhunderts um: Das Schicksal ‚höher‘ gestellter Figuren wird in gebundenen Versen vorgetragen; sie geben - unter Einbindung der Affekte - Trost und Mahnung zugleich. Maßgeblich für die Dramentheorie des Barock waren dabei die Ausführungen des Martin Opitz (1628-1597). Mit seinem 1624 erschienenen „Buch von der deutschen Poeterey“ formulierte Opitz erstmals Gattungsnormen im Hinblick auf eine Poetik der deutschen Sprache. Diese sogenannte Regelpoetik stellt den Versuch dar, die deutsche Sprache als Kunstsprache zu etablieren.
Im Anschluss u.a. an Aristoteles bestimmt Opitz die Tragödie folgendermaßen:
Für die Tragödie werden also die sogenannte Standesregel, erhabene Gegenstände der Darstellung und im Weiteren das ‚genus grande‘ als höchste sprachliche Stilform der Lehre der ‚genera dicendi‘ eingefordert. Opitz, der auch als Übersetzer antiker Tragödien hervorgetreten ist, orientiert sich in der Wirkungslehre der Tragödie aber weniger an Aristoteles und seinen griechischen Beispielen, als an der römischen Tragödientradition, insbesondere des Stoikers Seneca. Die dargestellten Affekte dienen nicht mehr dazu, eine unmittelbare kathartische Wirkung auf das Publikum zu entfalten, sondern wirken vermittelt auf das moralische Gemüt, das durch die wiederholte Begegnung mit der Darstellung von Schrecken auf der Bühne für die Unglücke der Welt immunisiert werden soll.
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Das Trauerspiel verhilft also zu „Trost angesichts aktuellen Leids“ und bereitet den (christlichen) Zuschauer auf „Beständigkeit im Hinblick auf künftige Schicksalsschläge“ (Profitlich 1999, S. 26) vor.
Im Gegensatz dazu operiert die Komödie gemäß der Opitz'schen Theorie mit anderem Personal, anderen Konflikten, Affekten und sprachästhetischen Registern:
In der Komödie ist nicht ein möglicher Unterhaltungswert im ‚Verlachen‘ das zentrale Element, sondern letztlich die moralische Erziehung. „Ziel ist die Komödie als moralische und gesellschaftlich nützliche Veranstaltung. Die komische Wirkung ergibt sich aus der Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit, zwischen Schein und Sein, wobei nicht zuletzt die Sprache als Mittel der (Selbst-)Entlarvung bzw. der Normbekräftigung dient.“ (Meid 2009, S. 440) Mit der Unterscheidung zwischen Tragödie und Komödie geht für Opitz nicht nur eine Unterscheidung des Personals einher, sondern auch der sprachlichen Register.
Gemäß dieser Unterscheidung von „einfältiger und schlechter Rede“ in der Komödie und „voller und heftiger Rede“ in der Tragödie markiert die Komödie mit ihrem erkennenden ‚Verlachen‘ einen anderen Affektzugriff als die Tragödie mit ihren bombastischen Elementen von ‚Jammer‘ („eleos“) und ‚Schauder‘ („phobos“).
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