7.8 Kriterien für die Auswahl von Medien

Unterstellen wir, dass die Eingangsvoraussetzungen positiv geklärt sind und die Bedienkompetenz der Teilnehmer*innen ausreicht, um sich allein in den zur Nutzung vorgeschlagenen Programmen zu orientieren. Dann ist die Frage aufgeworfen, nach welchen Kriterien Apps und Programme ausgewählt werden können (z.B. Mathe-Apps etc.).

Bitte prüfen Sie im nächsten Schritt:

  • Sind die Inhalte fachlich korrekt?
  • Sind die Inhalte klar und übersichtlich strukturiert?
  • Gibt es Möglichkeiten zur Interaktion und/oder Kollaboration?
  • Ist die App/Software wirklich eine Arbeitserleichterung? Oder stehen Form und Inhalt, Aufwand und Nutzung des Einsatzes in keinem gewinnbringenden Verhältnis?
  • Funktioniert die App/Software stabil (z.B. die technische Qualität der Bildübertragung oder die Zuverlässigkeit der Internetverbindung im Falle von Videokonferenzsystemen)?
  • Wie aktuell ist die App/Software? Sind Support-Angebote des Anbieters noch ausreichend vorhanden? Oder ist eine herausfordernde Umstellung der einzusetzenden App/Software bereits absehbar?
  • Im Idealfall: Gibt es die Möglichkeit zur Individualisierung bzw. Binnendifferenzierung, sodass auch digital dargebotene Fachinhalte an den jeweiligen Lernstand angepasst werden können (z.B. in sogenannten ›MOOCS‹, Massive Open Online Courses)?
  • Im Idealfall: Wird die Autonomie der Lernenden unterstützt, z.B. durch Feedback/Reflexionsfragen zum eigenen Lernstand oder Vorwissen und Ideen zum Weiterlesen?
  • Im Idealfall: Können entstehende Materialien als OER bereitgestellt werden? OER steht für Open Educational Ressources, also freie Bildungsressourcen, die (je nach gewähltem Lizenzmodell) wiederverwendet, geteilt und z. T. auch verändert werden dürfen, sodass sie an die jeweilige Lerngruppe angepasst werden können.

Für spezielle Kontexte, z.B. wenn Sie im Bereich der sonderpädagogischen Förderung tätig sind, kommen als Auswahlkriterien nach Reber (2021) zudem weitere Kriterien in Betracht: Adaptivität an einzelne Lernschritte (z.B. durch Einstellmöglichkeiten), Kleinschrittigkeit, ein effektives Verhältnis von Lernzeit und -inhalt, Angebote zur Aufmerksamkeitslenkung (z.B. im Sinne von Pop-Ups mit Aufforderungscharakter, die die Aufmerksamkeit zur Aufgabe zurücklenken), Zuschaltmöglichkeit von Hilfestellungen (wie z.B. auch bei Digitalen Assistenzarbeitsplätzen im betrieblichen Kontext). So führt Reber (2021) als sprachheilpädagogische und sprachtherapeutische Kriterien ergänzend an:

  • ein motivierender Kontext, der vielfältige Sprechanlässe schafft,
  • Orientierung an Modellen des Schriftspracherwerbs sowie Spracherwerbs,
  • Anpassbarkeit an sprachliche Zielstrukturen,
  • lautgetreues Wortmaterial, dann
  • phonologische, morphologische und orthografische Besonderheiten.

Mit Bezug auf die Aussprache merkt Reber an, dass Laute in verschiedenen Wortpositionen auftauchen sollten, dass unterschiedliche Strukturen eingeübt werden (einfache bis komplexe Silben) und auf verschiedenen Ebenen agiert wird (Geräusch-, Laut-, Silben-, Wort-, Satz-, Textebene). Zum Thema »Wortschatz« fordert sie, dass eine Wortauswahl möglich sein sollte, Wortfelder angeboten werden, Übungen zu Speicherung bzw. Abruf und Artikelverwendung zur Verfügung stehen. Bezogen auf die Grammatik weist sie auf die Wichtigkeit hin, die Zielstrukturen entsprechend der grammatikalischen Entwicklung anpassbar zu machen, und im Hinblick auf Kommunikation und Pragmatik stellt sie die Forderung nach Erzählanlässen (Reber 2021; vgl. auch Reber 2004; 2016).

Sollten Sie jetzt entgegnen, dass diese Spezifika für Ihre Lerngruppe nicht relevant sind, reflektieren Sie gerne, ob lernunterstützende Didaktik nicht dennoch für ALLE sinnvoll sein könnte. Die meisten haben vermutlich schon einmal eine Situation erlebt, in der sie temporäre Lernschwierigkeiten hatten, z.B. im Falle von Stress im persönlichen Umfeld oder im Falle eines Blackouts bei Prüfungen. Somit ist überlegenswert, ob die Aspekte, die von Reber speziell dem sonderpädagogischen Bereich zugeschrieben werden, nicht für jede*n hilfreich sein könnten.

Eine Ausnahme stellt, wie in vielen wissenschaftlichen Konferenzen diskutiert, die Auswahlmöglichkeit leichter Sprache für den universitären Kontext dar – geht es hier doch um die Vorbereitung auf anspruchsvolle Arbeitskontexte, die einer Komplexitätsreduktion diametral entgegenzustehen scheinen, sodass in diesem Fall von der Auswahlmöglichkeit leichter Sprache abzusehen ist. In abgemilderter Form gilt dies auch für betriebliches Lernen. Wenn es um fachliches Lernen geht, ist das Angebot leichter Sprache zumindest ambivalent, weil der Erwerb einer angemessenen Fachsprache zugleich ein fachliches Lernziel darstellt. Allerdings erscheint es (im Sinne von Zugänglichkeit) dennoch sinnvoll, entsprechend der eigenen Zielgruppe die Inhalte möglichst verständlich, leicht und motivierend zu formulieren.

Stop and Think

Welche der genannten Kriterien sind für Sie/für Ihre Zielgruppe besonders relevant? Bitte gewichten Sie diese.

In Bezug auf den Einsatz und die Bereitstellung von Lern- oder Erklärvideos durch die Lehrperson sind zusätzlich zur Prüfung der fachlichen Korrektheit und der OER-Freigabe ähnliche Aspekte wie bei der App-Auswahl zu berücksichtigen. Darüber hinaus sind auch noch zusätzliche Kriterien zu bedenken:

  • … ob die Quelle seriös ist
  • … ob die Ladezeit des Videos angemessen ist
  • … ob Qualität von Ton und Bild akzeptabel sind
  • … ob die Intro-Folie aussagekräftig ist (Titel, Thema etc.)
  • … ob in der Struktur des Videos Advance Organizers eingebaut sind, die die Gliederung des Videos verdeutlichen
  • …ob es auch zusammenfassende Elemente am Schluss gibt, die das Wesentliche resümieren
  • …ob das Video klare Textmarkierungen hat, die das Springen zu einzelnen Einheiten ermöglicht
  • … ob das Video abstrakt ist oder mit vielen Beispielen arbeitet und an die Lebenswelt anknüpft
  • … ob das Lernvideo die Gesamtlänge von max. 5-10 Minuten nicht überschreitet
  • … ob Untertitel zugeschaltet werden können
  • … ob im Idealfall verschiedene Versionen für verschiedene Zielgruppen zur Verfügung stehen (Sprachauswahl, Gebärdensprache zuschaltbar, reizarme Version etc.)
  • … ob »nur« die Bildschirmansicht abgefilmt wurde oder auch der*die Vortragende sichtbar ist oder ob es sich um ein Legetrickvideo handelt
  • … ob das Sprechtempo der*s Vortragenden angemessen ist
  • … ob die Sprachmelodie der*s Vortragenden abwechslungsreich oder monoton ist
  • … ob die »Dramaturgie« des Videos spannend ist (Spannungsbogen)
  • … ob das Video altersentsprechend mit Blick auf die Zielgruppe gestaltet ist
  • … ob das Schwierigkeitsniveau passt (Erläuterung von Fachtermini etc.)
  • … ob Verständnisfragen oder andere Elemente zur Sicherung einbaut sind
  • …ob es Begleitmaterial zum Nachlesen gibt bzw. interaktive Elemente zum Einüben des Gelernten
  • … ob das Video mit Musik unterlegt ist oder nicht (hat Vor- und Nachteile)
Literatur- und Web-Tipps

Checklisten zur Überprüfung der Qualität von Erklärvideos finden sich bei zahlreichen Universitäten und Medienzentren im Netz (z.B. vom Medienzentrum Frankfurt: https://medienzentrum-frankfurt.de/videoserie-erklaervideos-files?folder=bewertungsbogen ). Besonders hingewiesen werden soll an dieser Stelle auf die »Checkliste für Erklärvideos. Kriterien zur Beurteilung im Unterricht« der RWTH Aachen, die mit einer Förderung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung in Bezug auf Physik und Technik erstellt wurde (Albert o.J.) und als Anhaltspunkt für einen Transfer auf andere Bereiche dienen kann.

 Aufgabe

Bearbeiten Sie die folgende Aufgabe: Barrierefreiheit in Lehr-Lern-Arrangements

Take Home Message

Nutzen Sie Checklisten, um mediale Angebote auf ihre Geeignetheit zu überprüfen. Dabei muss immer mitgedacht werden, für welche Zielgruppe das Medium eingesetzt werden soll.

MOOC

Massive Open Online Course

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