3.14 Social Media und Algorithmen: Das Beispiel TikTok

Social Media sind allgegenwärtig und nicht mehr aus unserem Alltag wegzudenken. Erst waren es Facebook und Instagram, die ein rasantes Wachstum an Popularität gewonnen haben. Heute ist es unter anderen Social-Media-Plattformen auch TikTok. TikTok ist eine App, auf der viele kurze Videos schnell hintereinander gezeigt werden und nur wenige Sekunden oder Minuten dauern. Die Videos beinhalten thematisch eine Vielzahl abbildbarer Inhalte: Kochanleitungen, lustige Inhalte bis hin zu politischen Themen. Dass die App so ein rasantes Wachstum erfahren hat, liegt vor allem an dem Algorithmus. Denn die Qualität der Algorithmen wurde in den letzten Jahren derart verbessert, dass die Videos immer mehr den Interessen der Nutzer*innen entsprechend angezeigt werden. Dadurch schafft die App eine immer längere und häufigere Bindung an das Gerät. Anders als beim Algorithmus von Instagram verwendet TikTok eine Gewichtung durch die Engagement Rate (vgl. Sbai 2021). Die Engagement Rate ist der Prozentsatz des Publikums, der die Beiträge liket, kommentiert oder teilt. Lange Zeit blieb der Algorithmus von TikTok ein großes Geheimnis. Das Unternehmen hat sich aber auf Grund großer Kritik und im Sinne einer Transparenz dazu entschieden, über seine eigene Website Informationen zum Algorithmus zu veröffentlichen (vgl. Sbai 2021). Laut TikTok entscheidet der Algorithmus über die Beliebtheit der Videos anhand folgender Kriterien:

  • Die Menge der Kommentare, die von Nutzer*innen gepostet werden.
  • Die Menge an Accounts, denen Nutzer*innen folgen.
  • Die Kombination aus eigenen Interessen, die man zum Ausdruck bringt und dem, was einen nicht interessiert.
  • Interaktionen wie das Liken von Videos oder das Teilen von Videos.
  • Videoinformationen wie z.B. Hashtags, Musik und Bildunterschriften.
  • Einstellungen zum Account, wie die Sprache, das Land oder das verwendete Gerät.

Dabei spielt es z.B. bei der Gewichtung eine Rolle, ob ein Video ganz angesehen wird oder nach wenigen Sekunden gestoppt wird. Die App verwendet verschiedene Mittel, um sich interessant zu halten und die Nutzer*innen an sich zu binden (vgl. Sbai 2021). Darunter fällt z.B. das Teasern. In einem Teaser wird das Ende eines selbst erstellten Videos bewusst offengelassen. Die Community wird anschließend gefragt, einen zweiten Teil des Videos zu erstellen, und meist wird dafür ein bestimmtes Datum festgelegt. Dadurch werden Anreize für Nutzer*innen gesetzt, weitere Videos zu erstellen. Auch besteht die Möglichkeit, durch die Creator Mentions Personen in Kommentaren zu erwähnen, (auch ›taggen‹ genannt), wenn ein veröffentlichtes Video bspw. von anderen inspiriert wurde oder andere Personen in dem Video vorkommen. Dadurch können die Personen, die als Inspiration genutzt werden oder in den Videos vorkommen, durch die Erwähnung auf der Plattform TikTok bekannter gemacht werden. Auch Shout Outs werden als Methode verwendet. Das funktioniert so, dass ein Accountname oder ein Link eines Accounts in einem von sich selbst erstellten Beitrag eingefügt wird (tagging). Häufig wird die Funktion genutzt, um einen Satz zu beginnen, in dem ein Shout Out angekündigt wird (z.B. »Shout Out an alle Leute, die gerade dieses Video sehen« o.ä.). Auch beliebt ist die Funktion der Hashtag Challenges. Damit können unter einem bestimmten Hashtag Wettbewerbe von Nutzer*innen organisiert werden, an denen sich andere beteiligen können. Das funktioniert bspw., indem ein Video zu einem bestimmten Thema oder einer Aufgabe bereitgestellt wird und Nutzer*innen darin aufgefordert werden, das Thema oder die Aufgabe nachzustellen (vgl. Sbai 2021). Damit beteiligen sie sich an dem Wettbewerb und die Reichweite wird erhöht. Auch Unternehmen nutzen diese Funktion bereits für Werbezwecke, um viele Personen zu erreichen und für ihr Unternehmen zu werben. Wenn Unternehmen einen Wettbewerb initiieren, wird das Branded Hashtag Challenge genannt. Diese werden dann auch professionell von Agenturen umgesetzt. Diese Wettbewerbe helfen dem Algorithmus, zu identifizieren, welche Personen die Inhalte ansprechen.

Social-Media-Plattformen wie TikTok liefern den Nutzer*innen auf sie zugeschnittene Inhalte. Gleichzeitig schirmen sie andere Meinungen ab, die nicht ihren Interessen entsprechen (vgl. Menczer/Hills 2021). Diese Art der Vorsortierung von Inhalten kann gefährlich sein und dazu beitragen, dass gewisse Meinungen und Überzeugungen sich verfestigen und keine anderen Sichtweisen zugelassen werden (siehe Einheit Medien.Identität). Untersuchungen zeigen auf, dass Menschen oft nach einer Bestätigung ihrer Meinung suchen und jenes Verhalten durch den Algorithmus perfektioniert wird (vgl. Menczer/Hills 2021). Social Media verwenden z.T. auch automatisierte Bots, um bestimmte Inhalte zu streuen und die Qualität von Informationen zu verändern, indem bspw. Fehlinformationen verbreitet werden. Diese Bots sind technisch leicht zu entwickeln und tragen in hohem Maße mit falschen Profilen und Informationen dazu bei, dass falsche Meldungen in Umlauf gebracht werden. Nach Schätzungen von Expert*innen wurden diese z.B. vielfach im Jahr 2016 bei der US-Wahl eingesetzt, um binnen Sekunden tausende falsche Nachrichten in die Feeds (Hauptseite einer Social-Media-Seite) der Nutzer*innen zu verbreiten und so die politische Meinung von Menschen zu manipulieren. Die Informationen der Bots werden durch Menschen geteilt, woraus eine schnelle Verbreitung resultiert. So verharren Personen in ihren Filterblasen, da diese durch den Algorithmus verstärkt werden (vgl. Menczer/Hills 2021).

Die Nutzung von Social Media steht auch eng im Zusammenhang mit digitalen Ungleichheiten. Ungleichheiten bestehen in Bezug auf einen Zugang (auch First-level Digital Divide genannt), auf die Nutzungsweisen (auch als Second-level Divide beschrieben) sowie infrastrukturelle Ungleichheiten (auch als Third-level Divide) (vgl. Verständig et al. 2016). Letzteres bezieht sich auf die Architektur und die Strukturen von Softwareprogrammen und Apps sowie die des Internets. Dabei handelt es sich bei der Infrastruktur um die Übermittlung von Datenpaketen, die grundlegend als neutral konzipiert sind. Dennoch gibt es technisch betrachtet Verfahren, die Datenpakete nicht neutral vermitteln, sondern nach Inhalten priorisieren (u.a. Deep-Packet Inspection). Die inhaltlichen Priorisierungen basieren auf diskriminierenden Unterscheidungen. Das lässt sich am besten am Beispiel der zuvor beschriebenen Filterblasen erklären, die auf einer Analyse von Suchanfragen beruhen, sowie auf zukünftigen Priorisierungen von Filtern der Suchergebnisse. Daraufhin entstehen die sogenannten ›Blasen‹, die personalisierte Inhalte anzeigen. Die Ungleichheiten beruhen darauf, dass die technische Infrastruktur vorbestimmt, wer sich z.B. Gehör auf den Social-Media-Plattformen wie TikTok verschaffen kann (vgl. Verständig et al. 2016).

Literatur- und Web-Tipp

Im Jahr 2020 gab es einen Diskriminierungsskandal um den Algorithmus von TikTok. Durch den Algorithmus erhielten die Videos bestimmter Personengruppen weniger Reichweite als die von anderen. Wir empfehlen diesen Artikel als Vertiefung zu diesem Thema: