Religiöse Literatur des Mittelalters. Heiligkeit – Körper – Imagination
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- 1.1. Einführung
- 1.2. Gruppenwahl und Funktionsweise
- 1.3. Tools der digitalen Zusammenarbeit
- 1.4. Kommentierte Hilfsmittel der Germanistik
- 1.5. Tutorials zu Online-Bibliographien
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Der Kurs zu religiöser Literatur des Mittelalters lädt dazu ein, zentrale religiöse Themen in einer uns fremden Kultur kennenzulernen. Er weicht in seiner Auswahl von den anderen Kursen ab: Es geht nicht um eine bestimmte literarische Gattung, sondern um drei thematische Komplexe quer durch verschiedene Gattungen:
- Passion und Auferstehung,
- Heiligkeit und Geschlecht in mittelalterlichen Heiligenlegenden,
- der Tod und die Kunst des Sterbens.
Lassen Sie mich zunächst wichtige Konzepte und Begriffe kurz erläutern. Grundsätzlich müssen wir unterscheiden zwischen Religion (die zum Beispiel Frömmigkeitspraktiken, Glaubensinhalte, religiöse Werte und Normen sowie Texttraditionen umfassen kann) und Kirche als Institution im soziologischen Sinne (dies umfasst im Mittelalter zum Beispiel Klöster, Stifte, Kathedralschulen, aber auch den päpstlichen Hof). Beides wird hier kultur- und literaturwissenschaftlich beleuchtet, d.h. mit analytischer Distanz und historischer Differenzierung; es geht also nicht um religiöse, theologische oder religionswissenschaftliche Perspektiven, sondern um kulturwissenschaftlich-literaturgeschichtliche Zugänge.
In der mittelalterlichen Kultur war Religion etwas Selbstverständliches, ein alles umfassender Rahmen. Das bedeutet jedoch nicht, dass Religion – oder auch kirchliche Institutionen – das Leben aller Menschen durchgängig geprägt hätte. Generell muss man sich von pauschalen Aussagen über ‚das‘ Mittelalter verabschieden. Es gibt im Bereich vormoderner Religion eine große Vielfalt – die je nach Lebensform, Zeit und lokaler Zugehörigkeit zu differenzieren ist. Ein Benediktinermönch, der im Frühmittelalter zur Zeit Karls des Großen lebte, hatte nicht allzu viel mit einer Begine gemeinsam, einer frommen Frau ohne dauerndes Gelübde, die im 13. Jahrhundert in einer klosterähnlichen Gemeinschaft lebte. Generell sind ferner Ordensangehörige, die nach einer Ordensregel lebten (meistens im Kloster), deutlich von Weltgeistlichen zu unterscheiden, die keinem Orden angehörten (u.a. Bischöfe und Erzbischöfe). Eine scharfe Trennung zwischen Geistlichkeit und weltlichem Adel gibt es mit Blick auf die höfische Kultur dagegen nur bedingt: So hatten Bischöfe und Erzbischöfe in der Regel einen eigenen Hof, partizipierten an höfischer Kultur und förderten als Teil der kulturellen Elite – als Mäzene – häufig auch weltliche Literatur.
Die Unterschiedlichkeit religiöser Lebensformen im Mittelalter ist deshalb zu betonen, da holzschnittartige Verallgemeinerungen sie häufig vereinfachen und reduzieren. Das gilt erst recht für religiöse Inhalte und Praktiken. Vom Reformationsgeschehen um Martin Luther ausgehend, werden sie häufig einseitig und wertend als Unterdrückungsgeschehen begriffen: Einem klischeehaften Vorurteil zufolge habe die katholische Kirche die Gläubigen in Angst und Schrecken gehalten und ihnen (etwa durch den Ablasshandel) Geld abgepresst. Das ist ein Zerrbild. Zwar gab es immer wieder kritikwürdige Zustände (in Klöstern oder auch am päpstlichen Hof), doch wurde auf sie – und zwar bereits im Mittelalter – mit zum Teil weitreichenden Reformen religiöser Lebensweisen und Positionen geantwortet.
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Abgesehen von solchen Vereinfachungen sollten wir generell versuchen, die Andersartigkeit einer uns fernen Kultur zunächst einmal als solche wahrzunehmen und zu beschreiben – und zwar ohne zu werten: Denn sonst projizieren wir nur eigene alltagsweltliche Vorannahmen unserer Zeit auf die Vergangenheit und sagen damit nur etwas über uns selbst aus. Wenn man interessiert daran ist, diese spannende Welt, gerade weil sie uns so fremd ist, näher kennenzulernen, ist es nicht weiterführend, die Vielfalt religiösen Lebens und religiöser Inhalte im Mittelalter auf einige wenige Aspekte zu reduzieren, die in einer wertenden – und das heißt unwissenschaftlichen – Sichtweise zudem nicht adäquat eingeordnet werden können.
Vielfältig ist in diesem Bereich auch das literarische Feld, das nicht nur unterschiedlichste lateinische, sondern auch volkssprachlich-deutsche Texte hervorbrachte. Dabei konnte es natürlich auch um religiöse Unterweisung gehen, oder die Texte konnten auf Bedürfnisse von Gläubigen antworten und diese zu erbauen versuchen oder in Kultpraktiken eingebunden sein. Solche konkreten Funktionen schließen aber keineswegs aus, dass die Texte mit einem besonderen literarischen Anspruch verfasst wurden und eine eigene ästhetische Dimension haben: Die Bindung an einen außerliterarischen (hier religiösen) Funktionszusammenhang schließt den Kunstcharakter sprachlicher Äußerungen eben nicht aus; vielmehr kann ein ästhetisch-literarischer Anspruch – zum Beispiel im Preis der Gottesmutter Maria – durch die besondere Bedeutung des Gegenstandes gerade gefordert sein.
Für jeden Text ist individuell zu bestimmen, welche Funktionen er im Rahmen religiöser Vollzüge hatte und wie stark er institutionell eingebunden war: Es gibt Texte, die in den Rahmen der gottesdienstlichen Ordnung (insbesondere die Liturgie) integriert waren, andere wurden in der privaten Andachtspraxis (Devotion) gebraucht. Darüber hinaus ist auf der Schnittstelle religiöser und literarischer Diskurse eine Vielzahl von Texten überliefert, die gar keinen konkreten Bezug auf religiöse Praktiken haben und deren Funktion in der Versprachlichung, Formung und Reflexion religiöser Inhalte aufgeht.
Gerade für literarische Texte spielt im Zusammenhang mit der Religion die Vermittlung von Heil und Gnade eine zentrale Rolle. Die Texte können also – auch in ihrer je eigenen Materialität und Ästhetik – zu Medien des Heils werden; wir können daher (wie bei Bildern) nach ihren ‚Medialisierungsleistungen‘ (Vermittlungsleistungen) fragen. Diese Medialisierungsleistungen herauszuarbeiten, ist ein wesentliches Anliegen der germanistischen Mediävistik, die sich mit der religiösen Literatur des Mittelalters nicht in theologischer Perspektive beschäftigt, sondern als säkulare Text- und Kulturwissenschaft.
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Der Kurs vermittelt einen Einblick in die vielfältigen Formen der Heilsvermittlung durch literarische Texte; dabei geht es auch um Wechselbeziehungen zwischen Texten und bildlichen Darstellungen. Anders als es heute oftmals wahrgenommen wird, steht das Ostergeschehen (und nicht Weihnachten) im Zentrum des Kirchenjahres: Der Kreuzestod Jesu Christi und die Auferstehung am dritten Tag markieren für Gläubige die entscheidende Wende: die Wende nämlich von der Zeit ‚sub lege‘ (unter dem Gesetz, d.h. vor der Erlösungstat Christi) zu der Zeit ‚sub gratia‘ (unter der Gnade). Jesus Christus ist, so das christliche Dogma, Mensch und Gott. In dem Maße, in dem im späteren Mittelalter die menschliche Natur Christi gegenüber seiner Gottnatur immer wichtiger wurde, erlangte sein Leiden, das im Kreuzestod kulminiert (die Passion also), und damit auch der leidende Körper immer stärkere Aufmerksamkeit. Dem zentralen Zusammenhang von Passion und Erlösung ist der erste Schwerpunkt des Kurses gewidmet. Dabei ist ein besonderer Zusammenhang zwischen der Passionsthematik und der Hervorbringung ‚innerer Bilder‘ und literarischer Imagination zu erkennen.
Zudem kennt das Mittelalter im Zeichen von Heilsmittlerschaft eine Vielzahl von Mittlerinstanzen, zu denen besonders auch die Heiligen gehören. Von ihrem Leben und Sterben, von ihrem Wunderwirken erzählen mittelalterliche Heiligenlegenden, die den zweiten Schwerpunkt des Kurses bilden. Heilige konnten, insofern sie Christus nachfolgten, den Gläubigen als Vorbilder dienen. Darüber hinaus stellten die Heiligen eine der vielen Mittlerinstanzen dar: Ihnen wurde die Funktion zugeschrieben, als Fürsprecher (lateinisch ‚intercessores‘) für diejenigen, die sie anriefen, bei Gott um Gnade zu bitten. Besondere Aufmerksamkeit erfuhr auch der Körper der Heiligen, in dessen ‚Resten‘ (dem Reliquien) auch nach dem Tod der Heiligen ihre besondere Heilswirksamkeit unmittelbar zu erfahren war. In mittelalterlichen Heiligenlegenden ist zudem die Geschlechtsidentität im Sinne von Weiblichkeits- und Männlichkeitsmodellen sowie das Verhältnis von Heiligkeit, Körper und Geschlecht von besonderer Bedeutung.
Der dritte Schwerpunkt des Kurses ist dem Thema ‚Tod und Sterben‘ gewidmet. Die ‚Kunst des Sterbens‘, die ebenfalls im Spätmittelalter zunehmende Bedeutung erhielt, umfasst immer auch Reflexionen darüber, wie der einzelne Mensch zu leben hat: Die ‚ars moriendi‘, die Kunst des ‚richtigen Sterbens‘, ist eigentlich eine Kunst des Lebens. Sie will mit der Vorstellung der Entscheidungssituation im Tod zu einem im heilsgeschichtlichen Sinne ‚guten Leben‘ führen. Auch die Funktion dieser Texte sollte jedoch nicht einfach auf die Vermittlung religiöser Normen reduziert werden. Vielmehr ging es auch darum, ein heilbringendes und verantwortliches Leben des Einzelnen in der Welt mit den spezifischen Potenzialen literarischer Sprache zu reflektieren. Wie die Passionsthematik ist auch das Thema ‚Tod und Sterben‘ in mittelalterlichen Texten besonders eng mit den Möglichkeiten literarischer Imagination verbunden.
Insgesamt ist die reiche religiöse Kultur des Mittelalters eine uns fremde Welt, die es lohnt, sie zu erkunden: Sie ist geprägt von Wechselbeziehungen unterschiedlichster Medien, wie Texten, Bildern, Aufführungen, Prozessionen und Reliquien. Und sie ist geprägt von charakteristischen Spannungen: Diese religiöse Kultur setzt verstärkt sowohl auf die Wirksamkeit innerer Bilder und Imaginationsprozesse als auch ‚äußerer Bilder‘. Sie rückt einerseits Körper und Körperlichkeit stark ins Zentrum und andererseits Strategien der Verinnerlichung religiöser Inhalte. Körper, Körperlichkeit und Heiligkeit sowie Bildlichkeit und Imagination sind daher systematische Aspekte, die sich durch alle drei Themenkomplexe – Passion, Heiligenlegenden, Tod und Sterben – hindurchziehen und sie miteinander verbinden.
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* Bildquelle: Michael Pacher: Martyrium des hl. Laurentius, Malerei auf Eichenholz, um 1462/63 (CC-BY-SA 4.0)
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