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    • Das Leiden und der Kreuzestod Jesu spielen in der christlichen Lehre von der Erlösung des Menschen eine zentrale Rolle. Erlösungsbedürftig ist der Mensch seit dem Sündenfall des ersten Menschenpaares, Adam und Eva, und der damit begründeten ‚Erbsünde‘. Der Begriff der Erbsünde markiert die mit dem Sündenfall beginnende Unheilsgeschichte der Menschheit, in die jeder Einzelne hineingeboren wird. Heilsgeschichte und damit die Möglichkeit des Menschen, sich von Sünde zu befreien, beginnt im christlichen Glauben mit der Menschwerdung Gottes (der ‚Inkarnation‘) und folgt dem göttlichen Heilsplan. Jesus ist der menschgewordene Gottessohn, und sein Leiden und Tod werden als Erlösungstat aufgefasst, die sühnenden und versöhnenden Charakter hat: Jesus, der selbst sündenfrei ist, sühnt die Sünden der Menschen und versöhnt Gottvater mit ihnen. Dabei gilt gemäß der Zwei-Naturen-Lehre, dass Jesus Mensch und Gott ist. Die Lehre von der Dreieinigkeit wiederum (die Trinitätslehre) spricht von der Wesenseinheit Gottes in drei göttlichen Personen: Vater, Sohn und Heiliger Geist; sie versteht Gottsohn als zweite Person der göttlichen Trinität. 

      Im späteren Mittelalter wird die Passion Jesu eine immer wichtigere Dimension der religiösen Kultur, der ‚Passionsfrömmigkeit‘. In diesem Kontext erhalten die menschliche Natur Jesu und damit auch der leidende Körper zunehmend stärkere Aufmerksamkeit. Passionsfrömmigkeit und Leidenstheologie zielen auf den unmittelbaren Nachvollzug des Leidens Jesu durch den Einzelnen. Der Mensch kann sich Gott annähern, indem er sich das Leiden Jesu als ‚inneres Bild‘ vor Augen stellt. Auf diese Weise wird die Passion, die ein Ereignis der Vergangenheit ist, für den Einzelnen zugleich gegenwärtig. Dabei spielen Imagination und innere Betrachtung des Leidens (die ‚contemplatio‘, das Schauen mit den ‚Augen des Herzens‘) eine wichtige Rolle – und damit auch die Möglichkeiten literarischer Bildlichkeit, die hierzu anregen kann. Über die ‚contemplatio‘ die Betrachtung des Leidens  und die Erzeugung innerer Bilder der Passion kann der Mensch das Leiden Jesu mitvollziehen und es schließlich sogar zu seinem eigenen machen.

      In diesem Zusammenhang ist es wichtig, zwischen der Vergangenheit des Heilsgeschehens und der Präsenz des Heils zu unterscheiden. Das Heil kann sich dem Gläubigen außer durch Texte und Bilder eben auch über Betrachtung und Mitvollzug des Leidens vermitteln. Es gibt eine Vielzahl von Gattungen und Medien, für die die Vergegenwärtigung der Passion mittels ‚innerer‘ oder ‚äußerer Bilder‘ zentral ist: Passionstraktate, ‑historien und ‑predigten, Passionsbildlichkeit (Skulpturen wie Malerei) und Passionsspiele.

      Während die Evangelien von der Passion Jesu nur sehr knapp und zurückhaltend berichten, werden seit dem Hoch- und besonders dem Spätmittelalter die Passionserzählungen in den verschiedenen Textgattungen und auch in den bildlichen Darstellungen stark erweitert, angereichert und intensiviert; die Texte und Bilder schaffen sich gerade mit der Leidens- und Gewaltdarstellung erhebliche Darstellungsfreiräume.

      Passionsspiele, in deren Zentrum die Darstellung von Leben, Leidensweg und zum Teil auch Auferstehung Jesu steht, sind seit dem 13. Jahrhundert überliefert (in der Regel anonym). Wie andere Gattungen des Geistlichen Spiels konnten sie zur Aufführung im städtischen Raum oder aber auch zum Lesen bestimmt sein. Die Autoren konnten auf unterschiedliche Prätexte und Texttraditionen zurückgreifen: außer auf die Evangelienberichte auf liturgische Texte und auch auf Heiligenlegenden; sie gestalten aber das Überlieferte zum Teil äußerst frei aus. Im 15. und beginnenden 16. Jahrhundert steigt die Produktion der auch im Umfang zunehmenden Passionsspiele enorm an, was im Zusammenhang mit der das Spätmittelalter stark prägenden Passionsfrömmigkeit zu sehen ist. Mit den benachbarten Gattungen und Medien der Passion wie Traktaten, Historien und Passionsbildlichkeit stehen die Passionsspieltexte in vielfältigen Austauschbeziehungen. Im 15. und 16. Jahrhundert erweitert sich ihr Themenrepertoire erheblich: Die Spieltexte umfassen neben Leben, Passion und Auferstehung Jesu zum Teil die gesamte Heilsgeschichte, beginnend mit der Schöpfung, wie auch alttestamentliche Szenen.


    • Textgrundlage:

      Das Donaueschinger Passionsspiel, nach der Handschrift mit Einleitung und Kommentar hg. v. Anthonius H. Touber, Stuttgart: Reclam 1985, ab v. 1518a.