Heterogenitätssensibilität (HetSens)

Heterogenität und Heterogenitätssensibilität

Der produktive Umgang mit der Heterogenität schulischer Lernausgangslagen ist zu einer Schlüsselqualifikation für Lehrkräfte und für Institutionen geworden (Hertel 2014, S. 12; Widmer-Wolf und Sieber-Suter 2014, S. 126f.). Die Vorstellung von einer so genannten homogenen Lerngruppe, in der alle Schüler:innen einer Altersgruppe das gleiche Ausgangsniveau aufweisen, gilt als überholt (Altrichter und Hauser 2007, S. 6). Heute wird von Lehrpersonen erwartet, dass sie die Individualität von Schüler:innen zum Ausgangspunkt pädagogischer Prozesse machen.

Unter dem Begriff der Heterogenität werden nach Prengel und Heinzel (2012, o.S.) „Verhältnisse zwischen Verschiedenen, die einander nicht untergeordnet sind, gefasst“. Seit der Jahrtausendwende wird der Begriff Heterogenität in der Erziehungswissenschaft vorrangig von der Schulpädagogik aufgegriffen und verweist konzeptionell auf die Verschiedenheit von Individuen und entsprechenden Konsequenzen für die Unterrichtsgestaltung (Walgenbach 2017, S. 12). Hinsichtlich der Bedeutungsdimension unterliegt der Begriff Widersprüchlichkeiten und keiner neutralen Bewertung: Heterogenität wird als Belastung oder Chance für Entwicklung wahrgenommen (ebd., S. 25).

Gröhlich et al. (2009, S. 87) zählen zu Heterogenität „sowohl soziale oder kulturelle Unterschiede als auch die divergenten leistungsbezogenen Ausgangsbedingungen der Schülerschaft“ und beziehen sich damit auf die beiden aktuell existierenden Diskurslinien. Hinsichtlich der soziokulturellen Heterogenität werden Differenzkategorien, wie soziale Herkunft, Migration, Gender, Ethnizität, Behinderung, sowie die Wahrnehmung dieser Kategorien durch die Lehrkraft ausgemacht.

Das Bild zeigt eine Schüler:innengruppe.

Bildtext: Heterogenität der Lerngruppe kann sich beziehen auf: Alter, Arbeitshaltung, Lerntempo, Interessen, Familie, Vorkenntnisse, Religion, Gesundheit, Sprache, Lernstil, Entwicklung, Geschlecht, Soziale Herkunft, Ethnische Herkunft etc.

Bei der Bandbreite der Aspekte besteht Unklarheit darüber, welche Dimensionen von Heterogenität im Unterricht Berücksichtigung finden sollen und welches Wissen darüber als relevant erscheint. Die kognitive, leistungsbezogene Heterogenität wird oftmals in Verbindung mit der Entwicklung von Förder- und Differenzierungsmaßnahmen gebracht. Der Umgang mit (leistungsbezogener) Heterogenität hat sich zum zentralen Punkt der Lehrkräftebildung entwickelt (vgl. Gloystein und Barth 2020, S. 115).

Forschungsergebnisse zu Differenzkonstruktionen konnten belegen, dass Lehrkräfte weiterhin „ihre Unterrichtsgestaltung an dem Ziel, eine homogene Lerngruppe zu formen“ (Sturm 2010, S. 153), ausrichten. Damit wird ein Leistungsniveau für alle angestrebt, wobei die Berücksichtigung von Differenz als Grundlage unterrichtlichen Handelns entfällt.

Zur Wirkung kommen hier – ungeachtet der Besonderheit jeder Differenzordnung (Geschlecht, ethnische Herkunft etc.) – Hintergrunderwartungen sowie Macht- und Dominanzstrukturen. Auch wird in der Fachwelt ein Denken in „unscharfen und abwertenden“ (Felkendorff und Luder 2015, S. 53f.) Kategorien wie Behinderung, Armut und Migration zunehmend negativ konnotiert, da sie durch Bewertungen und negativen Zuschreibungen wie Einschränkungen, Schwächen oder Unfähigkeit stigmatisierend und diskriminierend wirken (vgl. Gloystein 2020, S. 54).