Klassenführung im Regelunterricht

"Das Konstrukt der Klassenführung bzw. des Classroom-Managements wird seit mehr als fünfzig Jahren in erziehungs- und bildungswissenschaftlichen Arbeiten thematisiert. Während ursprünglich ein auf Reaktion ausgerichtetes Begriffsverständnis den – zunächst behavioristisch geprägten – Diskurs kennzeichnete, gewann der präventive Umgang mit potenziellen Störungen in den 1970er Jahren durch die Arbeiten des Psychologen Jacob S. Kounin (1976) zunehmend an Relevanz (zusammenfassend siehe Liebsch & Patzer 2020). Um entsprechende proaktive Strategien zu systematisieren, definierte Kounin fünf Merkmale effektiver Klassenführung:

 

Merkmal

Erläuterung

1.

Disziplin

  • Bei Störungen in klarer und fairer Weise reagieren

2.

Allgegenwärtigkeit und Überlappung

  • Den Blick für die Klasse behalten und dies den Schüler:innen auch vermitteln
  • „Augen auch im Hinterkopf haben“: sich um mehrere Bereiche gleichzeitig kümmern können

3.

Schwung und Reibungslosigkeit

  • Den Unterricht ohne Unterbrechung steuern
  • Thematische Sprünge und Ablenkungen vermeiden

4.

Gruppenfokus

  • Alle Schüler:innen in der Klasse gleichzeitig mobilisieren
  • Alle Klassenmitglieder erhalten Aufmerksamkeit

5.

Abwechslung und intellektuelle Herausforderung

  • Lernaktivitäten anregend gestalten, um Überdruss zu vermeiden
  • Bedeutsamkeit von Inhalten vermitteln
  • Kognitive Herausforderungen wählen

Diese Merkmale wurden – mit Rückgriff auf Marzano et al. (2005) – zusammenfassend von Kunter und Trautwein (2013, S. 82) u.a. um die Prinzipien „Etablieren von Regeln und Routinen“, „eine konstruktive Schüler-Lehrerbeziehung“ und „die eigene Geisteshaltung“ ergänzt und zeugen – z.B. mit Blick auf die Fokussierung der inklusionspädagogisch relevanten pädagogischen Beziehungen, die etwa durch einen wertschätzenden, zugewandten Umgang miteinander gekennzeichnet sind – von einer zunehmenden Schüler:innenorientierung. Gleichwohl werden diese Dimensionen gelungener Klassenführung auch im Hinblick auf das ihnen inhärente Machtgefälle hinterfragt: „Obwohl [nämlich] der Ansatz auf Störungsreduzierung durch Antizipation und nicht auf Disziplinierung ausgerichtet ist, zeugen diese Verhaltensdimensionen doch von einer Sicht auf Unterricht, die stark auf die Lehrperson ausgerichtet ist und ihr die alleinige Verantwortung für Lehr-Lern-Prozesse überträgt (vgl. Ophardt & Thiel, 2008, S. 268)“ (Liebsch & Patzer 2020, S. 90).

Ausgehend von dieser Beobachtung sowie der Bezeichnung von Klassenführung als einem „mehrdimensionalen Geflecht“ (Haag & Brosig 2012, 171 f.) werden im Folgenden anhand von gegenwärtig formulierten Anforderungen an einen inklusiven, schüler:innenzentrierten Unterricht die traditionellen Merkmalsbereiche adaptiver Klassenführungskompetenz um mögliche Spannungsverhältnisse im inklusiven Unterricht erweitert." (Frohn et al., i.E.)