Text: Medien.Identität
5.3 Mediale Selbstdarstellung
Medien werden nicht nur genutzt, um Inhalte zu rezipieren, die der Identitätsbildung dienen können, sondern Personen stellen sich auch selbst in den sozialen Medien dar. Sie sind also nicht nur Rezipierende, sondern auch Produzierende. Die Selbstdarstellung ist dabei zunächst wertfrei als Selbstpräsentation, bei der eine Person ihre Existenz und Anwesenheit in einem bestimmten Online-Kontext ausdrückt, anzusehen (vgl. Kneidinger-Müller 2022), auch wenn sie meist idealisiert, verzerrt oder vereinfacht ist (vgl. Wulf et al. 2023). Bereiche, in denen sich Personen besonders positiv darstellen möchten, sind bspw. Online-Dating, Lifestyle- oder Jobplattformen.
Stop and Think
Stellen Sie sich (online) immer realistisch dar? Oder versuchen Sie, bestimmte Aspekte Ihrer Identität zu beschönigen oder vorzuenthalten? Und wenn ja, welche sind das explizit?
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Das Konzept der positiven Selbstdarstellung ist nicht neu, sondern war auch vor den digitalen Medien schon unter dem Begriff ›Impression Management‹ bekannt. Auch in der Offline-Welt gibt es kontextabhängige Teilidentitäten, die Personen besonders positiv zur Schau stellen möchten, z.B. in einem Vorstellungsgespräch (vgl. Wulf et al. 2023). Die »Online-Identität« kann der »Offline-Identität«, d.h. der Identität im realen Leben (Real Life), sehr ähnlich oder unabhängig von dieser sein. Wie eng beide zusammenhängen, hängt vom jeweiligen Nutzungskontext ab. Sowohl im Virtual als auch im Real Life sollen die besonderen Merkmale einer Person zum Ausdruck gebracht werden, gleichzeitig aber auch gewisse kollektivierende Eigenschaften präsentiert, d.h. die Gruppenzugehörigkeiten sollen als Teil der eigenen Identität ausgedrückt werden. Darüber hinaus können aber auch Eigenschaften vorenthalten werden, die im Real Life nicht zu verbergen wären, wie äußerliche Merkmale oder Beeinträchtigungen. Damit ist die Person weniger stark mit Stereotypisierungen und Vorurteilen konfrontiert und andere Facetten ihrer Identität können in den Vordergrund rücken (vgl. Kneidinger-Müller 2022; vgl. auch Stricker 2023).
Bei der Frage, wie ähnlich sich die virtuelle und die reale Identität sind, gibt es gegensätzliche Erklärungsansätze (vgl. Kneidinger-Müller 2022). Die Selbstmaskierungsthese geht davon aus, dass das virtuelle Ich eine idealisierte Scheinidentität ist. Die Selbsterkundungsthese nimmt hingegen an, dass das virtuelle Ich in der Lage ist, Identitätsfacetten auszutesten, ohne direkte Konsequenzen im echten Leben befürchten zu müssen. Am zutreffendsten erwies sich jedoch die Extended Real-life Hypothesis, nach der virtuelle Identitäten relativ stark an die realen Identitäten angelehnt sind. Das Internet dient damit der Selbstvergewisserung und Selbststabilisierung (vgl. ebd.) oder – in anderen Worten – der Bestätigung der eigenen Identität.
Abb. 5.3: Soziale Medien als Bühne für die Selbstdarstellung und Klickzahlen und Likes als Applaus.
Quelle: © Adobe Stock
Wie ehrlich Online-Profile sind, hängt auch von der jeweiligen Social Media-Plattform ab. Handelt es sich um eine Plattform, auf der man vornehmlich mit bekannten Personen kommuniziert (z.B. WhatsApp, Snapchat), ist die Identitätskonstruktion weniger idealisierend, als wenn es sich um eine Plattform handelt, auf der man vornehmlich mit unbekannten Personen interagiert (z.B. Instagram). Bei der Gestaltung von Profilen in sozialen Medien versuchen Personen, ihre eigenen Ansichten und Wünsche mit denen der »verallgemeinerten Anderen« in Einklang zu bringen, indem sie überlegen, welche Reaktionen und Emotionen ihre Veröffentlichungen bzw. Selbstbeschreibungen bei anderen Personen hervorrufen (vgl. Kneidinger-Müller 2022; siehe Abb. 5.3). Nach der Bühnenmetapher steht die Person in ihrem Profil auf der Bühne und ist dort Schauspieler*in (d.h. sie stellt sich dar) und Schauspielfigur (d.h. sie reagiert in ihrem Schauspiel auf den Applaus des Publikums) gleichzeitig. In Social Media ist der Applaus mit Kommentaren, Klickzahlen, Teilen und »Gefällt mir«-Anzahlen (Likes) gleichzusetzen. Der virtuelle Applaus wird darüber hinaus aber auch Teil der Online-Identität der Person, da er auch für andere Internetuser*innen sichtbar ist. Ebenfalls zur Online-Identität gehört die Anzahl der »Freund*innen« oder »Follower*innen«, die für alle sichtbar sind. Freund*innen bezeichnen gegenseitige Beziehungen auf Plattformen (z.B. Facebook), während die Follower-Beziehung einseitig sein kann (z.B. X, Bluesky, Instagram) (vgl. Kneidinger-Müller 2022). Im Hinblick auf die Risiken sei allerdings vorweggenommen, dass sich die Qualität von Beziehungen nicht in Likes erfassen lässt, sodass die Identitätskonstruktion im digitalen Raum zumindest ambivalent bleibt. Wenn man nun noch einmal an die facettenreiche postmoderne Identität denkt, die – wie wir oben gelernt haben – kontextgebunden konstruiert und präsentiert wird, so sind Online-Profile auf Social Media problematisch (siehe Abb. 5.4).
Abb. 5.4: Kontext- oder plattformspezifische Ich-Facetten und Selbstdarstellungen
Besuchen Personen aus sehr unterschiedlichen Offline-Kontexten, denen eine Person sich sehr verschieden präsentieren würde, dasselbe Online-Profil, handelt es sich um einen sogenannten ›Context Collapse‹ (vgl. Kneidinger-Müller 2022). Was ist damit gemeint? Für enge Freund*innen können Urlaubs- und Partybilder ein angemessener Ausdruck einer Identitätsfacette sein, die man aber dem*der Arbeitgeber*in normalerweise nicht zeigen würde. Dadurch, dass kaum zu überblicken ist, wer das eigene Profil oder den Content zu sehen bekommt (Invisible Audience), ist es für Personen auf Social Media schwierig, abzuschätzen, welche Form der Selbstdarstellung angemessen ist. Es besteht das ständige Gefühl, von unbestimmten Personen beobachtet zu werden, was das Zurschaustellen von Identitätsfacetten beeinflusst. Auf einigen Plattformen entwickeln sich Möglichkeiten, den Zugriff auf bestimmten Content zu beschränken, was allerdings einer ständigen Reflexion über mögliches Publikum bedarf (vgl. Kneidinger-Müller 2022). Für verschiedene Kontexte werden daher häufig verschiedene Plattformen verwendet, z.B. LinkedIn oder Xing für berufliche Belange und TikTok für die private Darstellung, sodass die verschiedenen Identitätsfacetten kontextspezifisch präsentiert werden können (vgl. Kneidinger-Müller 2022).
Bis hierher lässt sich daher bereits zusammenfassen, dass die Identitätsbildung über digitale Medien gleichzeitig einfacher und komplexer geworden ist. Die Online-Identität gab es bereits vor Social Media auf privaten Homepages und in der Chatkommunikation. Ob es sich nun um ältere Formen oder neuere Netzwerke sowie Blogging-Dienste handelt: Eine Online-Identität besteht zunächst einmal aus dem Profil, das angelegt wird, und aus dem Content, der eingestellt wird. Wie detailliert das Profil und wie häufig und persönlich der eingestellte Content ist, hängt von der Persönlichkeit des*der Nutzer*in und den Zwecken, die er*sie damit verfolgt, ab (vgl. Kneidinger-Müller 2022). Eine Person kann sich dabei verbal, visuell und auditiv ausdrücken. Auf verbaler Ebene beginnt die Selbstdarstellung mit der Wahl eines Nicknames (Benutzername), der oftmals bereits Hinweise auf das Geschlecht und die Identifikation der*des Nutzenden mit bekannten Persönlichkeiten oder Themen geben kann. Im Profil können weitere verbale Angaben über die eigene Person gemacht werden, die rudimentär, aber auch sehr detailliert sein können. Jedes weitere Posting oder jeder weitere Kommentar drückt, je nach Inhalt, explizit und implizit einen Teil der Identität (Interessen, Aufenthaltsorte etc.) aus. Implizit verraten auch der Schreibstil und die Schreibgeschwindigkeit etwas über eine Person (vgl. Kneidinger-Müller 2022). (Audio-)visuelle Kommunikationsformen (Profilbild, Selfies, Kurzvideos etc.) stellen einen weiteren Teil des Online-Contents dar. Das Profilbild stellt zusammen mit dem Nickname die zentrale Repräsentation der Person dar, da sie bei allen Kommunikationen mit angezeigt werden. Das Profilbild kann die eigene Person (Profilfoto), aber auch Interessen, Persönlichkeiten, die einem wichtig sind, und Eigenschaften wie Soziabilität oder aber einen Avatar (stilisierte Darstellung der Person) zeigen. Zudem zeigte eine Studie, dass Profilbilder von Jugendlichen in Social Media Geschlechterstereotype stärker transportieren als Abbildungen von Personen in den Massenmedien (vgl. Kneidinger-Müller 2022). Weitere geteilte Bilder und Videos drücken Interessen, Erlebnisse, Ereignisse und Einstellungen aus, ohne dass vielfach zusätzliche Kommentare notwendig sind. Beigefügt werden können Hashtags, die den Content öffentlich auffindbar machen, wenn die Bilder und Videos nicht nur privat geteilt wurden. Mittels sozialer Medien können auch Beziehungen über eine geografische Distanz gepflegt und neue soziale Beziehungen aufgebaut werden. Auditive und visuelle Komponenten können typische Bewegungsmuster, eine vertraute Stimme oder Emotionen transportieren und so Teilhabe am Leben eines anderen auf Distanz intensivieren. Auch mit Hilfe musikalischer Unterlegung kann ein Teil der Identität eingebracht werden (vgl. Kneidinger-Müller 2022) (siehe Einheit Medien.Gestaltung).
Eine besondere Personenkategorie, die sich medial v.a. (audio-)visuell selbst darstellt, sind Influencer*innen. Durch gezielte Online-Darstellung machen sie sich zu einer Eigenmarke (sogenanntes Self-branding), die sie berühmt machen und Einnahmen generieren kann. Damit kann u.a. der Eindruck vermittelt werden, dass das Dargestellte für jede Person möglich ist. Das wiederum kann dazu führen, dass Kinder und Jugendliche den Berufswunsch Influencer*in in Betracht ziehen (s.u. Herausforderungen). Influencer*innenaccounts werden über Klickzahlen, Nutzer*innenreaktionen und »Gefällt-Mir-Angaben« aufgewertet und über »Re-Posts/Weiterleitung« verbreitet (vgl. Kneidinger-Müller 2022). Um reflektiert mit den idealisierten Darstellungen und dem Ruhm der Influencer*innen umzugehen, bedarf es einer gefestigten Selbstidentität, die sich nicht durch mediale Vorbilder in Frage stellen lässt (s.u. Herausforderungen).
Take Home Messages
- Es gibt gegensätzliche Erklärungsansätze zur Deckungsgleichheit von Online- und Offline-Identität.
- Über Profile konstruiert man mediale Identität, daher wird der digitale Raum zu einem Ort der Selbstdarstellung.
- Bei der Selbstdarstellung spielen Profil und Content eine Rolle (siehe Einheit Medien.Gestaltung).
- Influencer*innen üben Einfluss auf die Identitätsbildung ihrer Follower*innen aus.