Text: Medien.Identität
5.5 Medienabhängigkeit: diagnostische Kriterien bei pathologischer Mediennutzung
Vorweggeschickt: Wenn im Folgenden von Mediennutzung die Rede ist, dann ist insbesondere die Nutzung digitaler Medien, wie z.B. Internetnutzung gemeint.
›Medienabhängigkeit‹ ist ein weiter Begriff und kann sich auch auf Online-Käufe, Streaming etc. beziehen, aber in diesem Abschnitt der Einheit stehen die Themen »Gaming und Spielsucht« sowie Social-Media-Abhängigkeit im Vordergrund. Bevor wir uns inhaltlich hiermit beschäftigen, ist eine Definition des Suchtbildes notwendig: Laut WHO (2019) spricht man von Spielsucht,
- wenn ein Kontrollverlust über das eigene Spielverhalten besteht (auch bei wichtigen Terminen oder in unangemessenen Situationen, und zwar in Bezug auf Nutzungsfrequenz und -dauer, Intensität etc.),
- wenn das Spielen Vorrang gegenüber anderen Interessen hat und Priorität gegenüber anderen Aktivitäten bekommt (z.B. Freund*innen, Hobbys, Familie etc.),
- und wenn das Spielverhalten trotz negativer Konsequenzen fortgesetzt wird (z.B. negatives Feedback zum Nutzungsverhalten aus der Schule).
Voraussetzung für die Diagnose einer sogenannten Gaming Disorder liegt weiter darin, dass das oben beschriebene Nutzungsverhalten über einen Zeitraum von mindestens einem Jahr an den Tag gelegt wird, die Lebensführung erheblich beeinflusst ist und eine Störung der persönlichen bzw. familiären oder anderer sozialer Bereiche vorliegt.
Für das Störungsbild Internet Gaming Disorder müssen laut DSM-5 mindestens fünf der folgenden Symptome über einen Zeitraum von 12 Monaten vorliegen (vgl. DSM-5):
- Andauernde Beschäftigung mit Spielen, Entzugssymptome bei fehlender Spielmöglichkeit
- »Toleranzentwicklung« (Bedürfnis, Zeit für Spiele aufzuwenden), d.h. aus anfänglich wenigen Stunden werden immer mehr
- gescheiterte Versuche, das Spielverhalten zu beenden
- Interessenverlust an früheren Hobbies
- Weiterspielen trotz des Bewusstseins, dass das online Spielen negative Folgen hat
- Täuschen Dritter über die zeitliche Dauer des Spielens
- Nutzung von Spielen zur Emotionsbewältigung
- Gefährdung sozialer Beziehungen wegen der Medien
Literatur- und Web-Tipps
Informationen zu Mediensucht finden Sie auf der Webseite von Aktiv gegen Mediensucht e.V. oder auf der Seite der Psychosomatischen Klinik Kloster Dießen:
Das Phänomen medialer Abhängigkeit ist dabei verbreitet und von zunehmender Brisanz und Bedeutung: Die Zahlen der im März 2023 veröffentlichten DAK-Studie (2023) ) sprechen eine deutliche Sprache: Sechs Prozent der Kinder und Jugendlichen sind demnach abhängig von Gaming und Sozialen Medien; 600.000 Jungen und Mädchen legen ein pathologisches Medienverhalten an den Tag (DAK-Gesundheit 2023): »Nach der aktuellen Studie von DAK-Gesundheit und UKE Hamburg stieg die Zahl abhängiger Kinder und Jugendlicher bei Computerspielen von 2,7 Prozent im Jahr 2019 auf 6,3 Prozent im Juni 2022.« Weiter heißt es: »Im Bereich Social Media verdoppelte sich die Mediensucht von 3,2 auf 6,7 Prozent mit rund 350.000 Betroffenen. Laut Studie zeigen rund 1,8 Millionen Kinder und Jugendliche eine problematische Nutzung bei Computerspielen und oder sozialen Medien.«
An diesen Zahlen wird schnell deutlich, dass Medien nicht nur positive Aspekte für die Identitätsbildung haben können, sondern auch schädliche.
Literatur- und Web-Tipp
Wer sich selbst im Hinblick auf eine eventuell vorliegende Mediensucht testen möchte, kann dies mit der App Mediensucht – Teste dich! tun: https://play.google.com/store/apps/details?id=com.extraleben.mediensucht_test&hl=de
Internetsucht hat aber, wie oben ausgeführt, viele Facetten. Nach Young et al. (2000) können folgende Tätigkeiten eine Sucht auslösen, bzw. es werden folgende Arten von Abhängigkeit unterschieden:
- Cybersexual Addiction (Internetpornografie): Herunterladen und Anschauen von Pornos im Netz, Erotikchats
- Cyber-relationship Addiction (virtuelle Beziehungen): Chatrooms und Social Networks
- Net Compulsion (Glücksspiel und Handel): Online-Casinos/Online-Wetten, Onlinekaufsucht
- Information Overload (Informationssuche): Ständiges Surfen im Netz nach Informationen, Downloads von Musik und Filmen
- Computer Addiction (Computerspielsucht): »Ego-Shooter«, Online-Rollenspiele (z.B. »World of Warcraft«)
Take Home Message
Es gibt exzessives Mediennutzungsverhalten, das pathologisch, also krankhaft, ist. Hierfür müssen mehrere Kriterien über einen längeren Zeitraum erfüllt sein.
Stop and Think
- Halten Sie Ihr eigenes Mediennutzungsverhalten für gesund, für grenzwertig oder für pathologisch? Warum (nicht)?
- Gibt oder gab es Zeiten, in denen Sie Medien viel länger und häufiger nutzen/genutzt haben? In welchen Zeiten war das? Wie erklären Sie das? Wann und warum handelt es sich Ihrer Meinung nach um eine auffällige oder keine auffällige Mediennutzung?
- Erstellen Sie eine Mindmap mit allen Begriffen, die Ihnen zum Thema Internetsucht einfallen.