E-Prüfungen barrierefrei gestalten – ein Leitfaden 

Einleitung

Der folgende Leitfaden soll als Heranführung und Umsetzungshilfe zum Thema digitale Barrierefreiheit und E-Prüfungen dienen. Damit E-Prüfungen für alle Studierenden zugänglich und bearbeitbar sind, ist die Auseinandersetzung mit Barrierefreiheit in E-Prüfungen sowie in digitalen Lehrinhalten und Kursen unabdingbar. Mit Hilfe dieses Leitfadens soll dazu angeregt und aufgefordert werden, dass sowohl die gestellten Aufgaben als auch die Rückmeldungen barrierefrei abrufbar sind.

Dieser Leitfaden beginnt mit einer Erläuterung des Begriffs E-Prüfungen. Darauf folgen Prüfungsformate und Aufgabentypen. Daran anschließend sind Tipps und Tricks für Lehrende in Textform und als Checkliste zum Abhaken aufgeführt, die den Prozess der E-Prüfungen in vorher, währenddessen und nachher unterteilen. Zusätzlich können Sie diesem Leitfaden Informationen zum Thema E-Prüfungen und Nachteilsausgleich entnehmen. Abschließend wird auf weitere Quellen und Webseiten verwiesen.

Aufgrund der Komplexität und fortwährenden Entwicklung im Bereich (digitale) Prüfungen wird auf eine vollständige Einordnung und Übersicht einschließlich didaktischer, technischer, rechtlicher und organisatorischer Handlungsfelder verzichtet. Hierfür verweisen wir auf die gelisteten weiterführenden Informationen und Quellen.

Einführung E-Prüfungen

Es gibt verschiedene Möglichkeiten zur digitalen Abnahme von Prüfungsleistungen. Prüfungen werden im Allgemeinen als digitale Prüfungen bezeichnet, wenn nicht nur die Vorbereitung, Korrektur, Einsicht oder Archivierung der Prüfung auf digitalem Wege geschieht, sondern auch eine (teilweise) digitale Durchführung der Prüfung durch die Studierenden stattfindet (Bandtel et al., 2021, S. 25).

 Einen Überblick über digitale Prüfungsszenarien finden Sie in Abbildung 1. Bei (sogenannten) E-Prüfungen handelt es sich um den spezifischeren Sonderfall eines prüfungsrechtlich definierten Begriffs. Damit eine entsprechende rechtliche Einordnung in Frage kommt, müssen „Verteilung, Durchführung und Verarbeitung der Prüfung/Leistungsfeststellung in demselben informationstechnischen System“ (ebd.) stattfinden.

Ein solches E-Prüfungssystem ist in vielen gängigen Lernmanagementsystemen (LMS) inkludiert, wie z.B. in Moodle und ILIAS, oder kann für sich alleine stehen. In diesem Leitfaden wollen wir uns auf den Rahmen der E-Prüfungen konzentrieren, die meisten der Hinweise können allerdings auch für andere digitale Prüfungen übernommen werden.

Bitte beachten Sie, dass die spezifischen Definitionen und Anforderungen je nach Land und Hochschule variieren können. Erkundigen Sie sich rechtzeitig bei den zuständigen Stellen nach bereits existierenden Richtlinien. Orientieren Sie sich bei der Planung und Durchführung von E-Prüfungen an den an Ihrer Hochschule geltenden rechtlichen Bestimmungen.

Abbildung 1 stellt die unterschiedlichen Dimensionen von digitalen Prüfungen dar.

Abbildung 1: Digitale Prüfungsszenarien. Quelle: Budde (o.J.): Digitale Prüfungen. Wo geht der Trend hin?

Entsprechend der Abbildung 1 lassen sich digitale Prüfungen in räumlicher, zeitlicher und sozialer Hinsicht kategorisieren. Räumlich gesehen, lassen sich digitale Prüfungen in zwei Kategorien einteilen. Die eine Kategorie bezieht sich auf vor Ort Prüfungen innerhalb der Hochschule beispielsweise in dafür eingerichteten Computer-Pools. Die andere Kategorie umfasst digitale Prüfungen außerhalb der Hochschule beispielsweise in privaten Räumen der Studierenden. In der zeitlichen Kategorie gibt es eine Unterscheidung zwischen synchronen und asynchronen digitalen Prüfungen. Im Regelfall werden Studierende auf dem Campus zeitgleich (synchron) geprüft, digitale Fernprüfungen können sowohl synchron als auch asynchron verlaufen. Die dritte Kategorie bezieht sich auf den sozialen Aspekt bei digitalen Prüfungen. Hierbei kann unterschieden werden, ob die Prüfungen in Einzel- oder Teamarbeit stattfinden und ob die Prüfungsstellenden eine interaktive Rolle einnehmen, beispielsweise durch Fragen stellen. Zuletzt muss bei digitalen Prüfungen die Überlegung angestellt werden, ob die Prüfungen überwacht werden oder nicht.

Prüfungsformate und Aufgabentypen

Die Aufgaben innerhalb der E-Prüfungen können unterschiedliche Formate annehmen. Lehrende haben die Möglichkeit die Prüfungen so zu gestalten, dass diese zum Veranstaltungstyp und zum Einsatzzweck passen. Dabei können folgende Formate hinzugezogen werden:

  • Offene: Ergebniseingabe, Freitextangabe, Scan-Aufgabe
  • Geschlossene: Multiple-Choice-Aufgabe, Single-Choice-Aufgabe, Kprim-Aufgabe, Zuordnungsfrage, Klassifikationsaufgabe, Lückentext-Aufgabe („CLOZE“), Bildannotation/Hotspot/ImageMap
  • Fachspezifische Aufgaben: Formeln, Coding etc.

Nachfolgend werden Prüfungsformate und Aufgabentypen genannt, die sich speziell auf E-Prüfungen innerhalb des Learning Managment Systems Moodle beziehen und von allen Studierenden bearbeitet werden können. Obwohl das LMS Moodle nicht primär für die Durchführung von E-Prüfungen konzipiert ist, beinhaltet die „Test“-Aktivität einen ausreichenden Funktionsumfang für die Durchführung summativer Assessments. Dabei steht den Lehrenden ein großes Repertoire an unterschiedlichen barrierefreien Fragetypen zur Verfügung, wie ua.: 

  • Multiple Choice-Fragen (weitgehend barrierefrei)
  • Textbasierte Fragetypen: Kurzantwort (weitgehend barrierefrei) und Freitext (weitgehend barrierefrei)
  • Zuordnungs-Fragetypen für Wörter und Wort-Gruppen: Zufällige Kurzantwortzuordnung (wie Zuordnung mit Drop-Down-Liste) (weitgehend barrierefrei)
  • Mathematische Fragetypen: Numerisch, Einfach berechnet, Berechnet und Berechnete Multiple-Choice (weitgehend barrierefrei) 

Weiterführende Informationen zu Prüfungsformaten und Aufgabentypen sowie eine ausführliche Tabelle mit Fragetypen in Moodle, die nicht barrierefrei sind und daher nicht verwendet werden sollten, finden Sie innerhalb dieses Moodle-Kurses im Buch „Vertiefende Informationen zu E-Prüfungen“ unter Kapitel 7.2.

Auch das LMS ILIAS bietet Lehrenden eine Auswahl an unterschiedlichen Prüfungsformaten und Aufgabentypen, um E-Prüfungen barrierefrei durchzuführen.  Barrierefrei sind alle Formen von Freitexteingaben (also auch numerische Antworten und Benennungsaufgaben). Teilweise barrierefrei sind folgende Aufgabentypen:

  • Single-/Multiple-Choice-Aufgaben
  • Lückentextaufgaben/Long Menu
  • Kprim Choice
  • Markieraufgaben 

Mehr Informationen zu verfügbaren Aufgabentypen und deren Barrierefreiheit finden Sie im ILIAS "Lernraum für (digitale) Barrierefreiheit in der Lehre".

Tipps und Tricks für Lehrende

Im Rahmen der Universal Design for Learning Prinzipien gehen wir davon aus, dass es eine Vielzahl von Maßnahmen gibt, die nicht nur einzelnen Nutzer*innen, sondern unterschiedlichen Menschen und Personengruppen zugutekommen. Nachfolgend haben wir für Sie einige Informationen und Tipps zur möglichst barrierefreien Gestaltung von E-Prüfungen zusammengestellt. Diese sind aufgeteilt in pre-, while- und post-exam-Phasen. Anschließend finden Sie jeweils entsprechende Checklisten zur Ergänzung. Der rechten Spalte können Sie jeweils entnehmen, welche Personengruppen besonders von den Maßnahmen profitieren, wobei die Aufzählungen nicht abschließend sind. Wir möchten Sie dazu einladen, sich Gedanken darüber zu machen, wie auch weitere Studierende von den einzelnen Maßnahmen profitieren können. Weiterführende Informationen finden Sie in den Materialien zu „Bewusstsein Barrierefreiheit“.

Vor der Prüfung 

Damit der gesamte Prüfungsprozess möglichst barrierefrei gestaltet werden kann, gilt es bereits vor der E-Prüfung einige Punkte zu beachten.

Zunächst sollten die Rahmenbedingungen auf Barrierefreiheit überprüft werden. Sind die Prüfungsräume barrierefrei zugänglich? Sind die Eingabegeräte für alle Studierenden bedienbar? Sind die Inhalte barrierefrei aufbereitet? Ausführliche Tipps und Tricks zu der Gestaltung barrierefreier   Materialien finden Sie in diesem Moodle-Kurs sowie im Iliaskurs „Lernraum für (digitale) Barrierefreiheit in der Lehre“ der Pädagogischen Hochschule Freiburg. Fragen Sie in Ihrer Lerngruppe nach etwaigen Bedarfen, bitten Sie darum mögliche Barrieren oder auch Techniken frühzeitig zu kommunizieren. Oftmals haben Ihre Studierenden bereits Lösungen für unterschiedliche Herausforderungen erprobt. Gehen Sie dabei stets sensibel und diskret vor. 

Vor der Prüfung empfiehlt es sich, die Nutzung digitaler Programme und der zur Verfügung stehenden Bearbeitungstechniken mit Ihren Studierenden zu üben. So können nicht nur bestehende Barrieren entdeckt, sondern auch Ängste genommen werden. Ihre Studierenden können sich dadurch während der Prüfung auf die inhaltliche Bearbeitung konzentrieren. Dies kommt auch zum Beispiel Studierenden mit psychischen Erkrankungen, AD(H)S, oder Autismus zugute.

Wenn Ihr didaktisches Konzept es erlaubt, flexibilisieren Sie Bearbeitungstechniken und –reihenfolge. Bieten Sie einen Aufgabenüberblick mit Bearbeitungsstand an. Erlauben Sie es den Studierenden, zunächst alle Fragen durchzulesen und selbst zu entscheiden, in welcher Reihenfolge diese bearbeitet werden sollen. Falls die Reihenfolge festgelegt ist, informieren Sie die Studierenden vorab darüber. Bieten Sie, wenn es dem Prüfungszweck nicht entgegensteht, verschiedene Bearbeitungstechniken zur Auswahl an. Denken Sie frühzeitig an alternative Prüfungsformate, die Studierende aus Ihrer Lerngruppe benötigen könnten.

Bei BYOD-Prüfungen (Bring your own device), Fernprüfungen oder falls Studierende auf die Nutzung eigener Geräte (und ggf. assistiver Technolgien) angewiesen sind, informieren Sie die Studierenden über technische Anforderungen und die Kompatibilität der Prüfungsumgebung. Beachten Sie, dass Ihre Studierenden ggf. einen Anspruch auf einen Nachteilsausgleich haben. Die Koordination von Nachteilsausgleichen erfolgt über verantwortliche Stellen (z.B. Beauftragte*r für Studierende mit Behinderungen, Prüfungsausschuss o.ä.). Weitere Informationen zu Nachteilsausgleichen und weiterführende Links finden Sie anschließend an die Checklisten im Kapitel E-Prüfungen und Nachteilausgleich.

Während der Prüfung

Während der Prüfung ist es wichtig, zu Beginn klare und präzise Anweisungen zu geben und  während der Bearbeitung Hilfestellungen für das erfolgreiche Ablegen der Prüfung zu leisten. Idealerweise steht ein technischer Support zur Verfügung, der bei Unklarheiten und bei Kompatibilitätsproblemen von Hard- und Software aushelfen kann.

Die Möglichkeit bei Unklarheiten Fragen zu stellen, hilft nicht nur bei der korrekten Erfüllung der Aufgaben, sondern kann Studierenden, die zu Unsicherheit und Angst neigen, Rückhalt geben und ein konzentriertes Arbeiten ermöglichen. Klare Abläufe und Regelwerke helfen insbesondere, aber nicht nur Studierenden mit Autismusspektrumsstörung sich zurechtzufinden.

Bedenken Sie, dass sich Studierende mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen evtl. anders verhalten als andere Studierende. Das muss kein Hinweis auf Betrugsversuche sein. Weisen Sie auch andere Aufsichtspersonen entsprechend ein und sensibilisieren Sie diese dafür. 

Nach der Prüfung

Wenn möglich, versuchen Sie Ihren Studierenden Ihr weiteres Vorgehen möglichst konkret darzulegen. Lassen Sie sie wissen, in welchem Zeitraum diese mit einer Rückmeldung rechnen können, ob und welche Möglichkeiten zur Klausureinsicht bestehen und wann etwaige Wiederholungstermine bekanntgegeben werden. Geben Sie den Studierenden möglichst konkretes und produktives Feedback und achten Sie auf unterschiedliche Formate. Mündliches Feedback kann für manche Studierende eine Hürde darstellen, andere bevorzugen das persönliche Gespräch gegenüber schriftlicher Rückmeldung.

Elektronische Prüfungen und Nachteilsausgleich

Aufgrund der individuellen Bedarfe von Studierenden, ist die Erbringung von Leistungen und Prüfungen in der vorgegebenen Weise oder im vorgesehenen Zeitrahmen teilweise nicht möglich. Daher benötigt es an dieser Stelle eine zeitliche und/oder formale Anpassung der Leistungsnachweise. Dies gilt besonders bei Klausuren, Referaten, mündlichen Prüfungen, Hausarbeiten, Berichten und Abschlussarbeiten. Studierende haben ein Recht auf Nachteilsausgleiche. Das Recht auf Nachteilsausgleich von Studierenden mit Behinderung und chronischen Erkrankungen ist gesetzlich verankert. Beispielsweise führen das Grundgesetz, das Hochschulrahmengesetz, die Landeshochschulgesetze, Prüfungsordnungen sowie die UN-Behindertenrechtskonventionen Verschriftlichungen dazu auf. Die Gesetzestexte können auf der Homepage des Deutschen Studierendenwerks eingesehen werden. Die geltenden Regelungen zu Nachteilsausgleichen sind in der Regel in den Prüfungsordnungen der Hochschulen verankert. Darüber hinaus können die Behindertenbeauftragten der Hochschule Auskunft zum Thema Nachteilsausgleich geben. Weitere allgemeine Informationen zum Thema Nachteilsausgleich finden Sie in der Wissensdatenbank innerhalb des Moodle-Kurses „Materialpaket barrierefreie Lehre“ in dem Buch „Nachteilsausgleiche verstehen“. Zusätzlich beinhaltet auch der Moodle-Kurs „Digitale Barrierefreiheit an Hochschulen“ Informationen zum Thema Nachteilsausgleich in Form eines Buches.

In jedem Einzelfall wird individuell geprüft, welche beeinträchtigungsbedingte Benachteiligung vorliegt und wie diese sinnvoll auszugleichen ist. Die Gestaltung der Maßnahmen für Nachteilsausgleiche bezieht sich häufig auf Prüfungen, die in Präsenz stattfinden. Jedoch lassen sich viele Empfehlungen für Präsenz-Prüfungen auch problemlos auf digitale Formate übertragen. Eine ausführliche Aufführung hält die Universität Hamburg in einer Tabelle fest. Dort werden die gängigen Maßnahmen des Nachteilsausgleichs für Präsenz-Klausuren aufgelistet und skizziert, ob und ggf. wie die Umsetzung bei elektronischen Klausuren oder klausurähnlichen Take Home Exams erfolgen kann. Die ausführliche Tabelle und weitere hilfreiche Informationen finden Sie in dem PDF-Dokument der Universität Hamburg „Wie lassen sich Maßnahmen des Nachteilsausgleichs für Präsenz-Prüfungen auf digitale Prüfungen übertragen?“. 

Querverweise und weiterführende Literatur

Hilfreiche Informationen zu digitalen Prüfungen in der Hochschule der Community Working Group "Prüfungsszenarien für die digitale Hochschulbildung" des Hochschulforums Digitalisierung (PDF)

Hilfreiche Informationen zu E-Prüfungen von der Universität Bielefeld (Webseite)

Hilfreiche Informationen zu (E-)Prüfungen und Nachteilsausgleich des Deutschen Studierendenwerks (Webseite)

Hilfreiche Informationen zu E-Prüfungen in Moodle mit dem Safe Exam Browser von der Universität Bielefeld (Webseite)

Hilfreiche Informationen zu E-Prüfungen und Moodle Fragetypen der Aktivität "Test" von der FH Potsdam

 

E-Prüfungen barrierefrei gestalten – ein Leitfaden. Freigegeben unter CC BY 4.0-Lizenz. Verfassende Personen: Christin Stormer, Samira Kalemba, Kim Althoff und Hakan Ali Cetin. Mit Dank für die Mitwirkung von: Michael Johannfunke, Judith Kuhlmann, Verena Kersken, Dustin Matzel und Anna Weidenbach. SHUFFLE – Hochschulinitiative digitale Barrierefreiheit für Alle. Weitere Hinweise zur Gestaltung von barrierefreien Lehrmaterialien werden zurzeit entwickelt.

Zuletzt geändert: Dienstag, 21. November 2023, 10:34